Rechtsextreme Gruppen verlagern ihre Aktivitäten zunehmend auf Social Media und nehmen damit gezielt Jugendliche ins Visier. Über alle verfügbaren Dienste und Kanäle locken sie mit Angeboten, die an die Lebenswelt junger Menschen anknüpfen und deren Emotionen wecken - zum Beispiel durch Rockmusik und Hip-Hop. Das zeigt der Lagebericht "Rechtsextremismus im Netz 2018/2019", den Bundesjugendministerin Dr. Franziska Giffey am 16. April vorgestellt hat. Erarbeitet und herausgegeben wurde der Bericht von jugendschutz.net, dem Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet.
Dr. Franziska Giffey:
"Ob in sozialen Netzwerken, auf Youtube oder in der digitalen Spiele-Welt: Kinder und Jugendliche sind heutzutage ganz selbstverständlich im Netz unterwegs - umso erschreckender ist es, wie leicht sie von Rechtsextremisten kontaktiert und geködert werden können. Für mich ist der Lagebericht ein Alarmzeichen, gerade auch in Zeiten von Corona. Denn mit kruden Verschwörungstheorien und Fake News versucht die rechtsextreme Szene derzeit auch junge Menschen für sich zu gewinnen. Über das Internet können sie sich nahezu ungehindert direkten Zugang in die Kinderzimmer verschaffen. Um Jugendliche auch vor diesen Gefahren im Netz wirksam zu schützen, werden wir noch in diesem Jahr das Jugendschutzgesetz reformieren. Für stärkeren Schutz, mehr Orientierung und eine effektive Rechtsdurchsetzung bei Verstößen - auch gegenüber Anbietern mit Sitz im Ausland. Zugleich brauchen wir mehr Medienkompetenz. Schon jetzt fördern wir über das Bundesprogramm 'Demokratie leben!' zahlreiche Initiativen, die junge Menschen für ideologische Inhalte im Netz und ihre Gefahren sensibilisieren."
Aktionsfeld Social-Media-Dienste
Der Lagebericht von jugendschutz.net macht deutlich, dass Social-Media-Dienste ein zentrales Aktionsfeld von Rechtsextremen sind. Gerade dort, wo Schutzmaßnahmen durch Plattformbetreiber nicht vorhanden oder zu wenig wirksam sind, entstehen gefährliche "Echokammern". Dort wird Hass gegen andere Menschen und die Demokratie geschürt, rechtsterroristische Attentäter werden verehrt. Über Musik, Videos und Memes erreicht ihre Hetze ein Millionenpublikum, darunter sind unzählige Kinder und Jugendliche.
Stefan Glaser, Leiter von jugendschutz.net:
"Deshalb ist es wichtig, dass bei Rechtsverstößen schnell gehandelt wird. Wir brauchen mehr Betreiber, die bereit sind, junge Userinnen und User auch proaktiv vor rechtsextremer Propaganda zu schützen. Es ist unbegreiflich, warum einschlägig bekannte Bands ihre hasserfüllte Musik noch auf reichweitenstarken Plattformen promoten können. Und wieso schlagen mir die Algorithmen dann auch noch ähnliche Beiträge vor? Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun."
Fast 1500 Verstöße registriert
Jugendschutz.net dokumentierte in den Jahren 2018 und 2019 im Themenfeld Rechtsextremismus 1486 Verstöße. Meist handelte es sich um die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung. 2248 Maßnahmen wurden eingeleitet, in über 80 Prozent der Fälle wurde eine Löschung oder Sperrung erreicht. Der größte Teil der gesichteten rechtsextremen Propaganda befand sich auf Social-Media-Plattformen wie YouTube, Facebook, Twitter und Instagram.
Instrumentalisierung der Corona-Pandemie
Jugendschutz.net und das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus im Bundesprogramm "Demokratie leben!" beobachten, dass Rechtsextreme aktuell versuchen, die Corona-Pandemie für ihre Propaganda zu instrumentalisieren. Eine Art "Hass- und Rassismus-Pandemie" in sozialen Netzwerken, die teilweise auch in realer Gewalt endet, stellt auch die Amadeu Antonio Stiftung als koordinierende Stelle des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismus fest.
Die Stiftung gibt Trägern der Jugendarbeit und pädagogischem Fachpersonal Informationen und Methoden an die Hand, gemeinsam mit Jugendlichen werden digitale Argumentationstrainings entwickelt, Online-Seminare zu Moderationstechniken angeboten. Rückfragen, Begleitung und Coaching sind im Chat möglich. Für die Erwachsenenbildung werden Angebote und Handreichungen erarbeitet.
Der Bericht "Rechtsextremismus im Netz 2018/19" und die Praxis-Info "Corona-Pandemie und rechtsextreme Onlinepropaganda: Verschwörungstheorien, Hasskampagnen und rechtsextremes Framing" stehen zum Download bereit.