Mit welchen Maßnahmen gibt Familienpolitik den Menschen Sicherheit? Welche Perspektiven kann die Politik den Familien für die Zeit nach der Pandemie eröffnen? Das thematisierte das digitale Perspektivforum "Sicherheit und Chancen für Familien", das am 27. Mai im Bundesfamilienministerium stattfand. Dabei diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik über Trends und daraus abgeleitete Handlungsfelder für eine fortschrittliche Familienpolitik.
Fortschrittsagenda
Bereits die Fortschrittsagenda "Sicherheit und Chancen für Familien" benennt klare Trends, die das Familienleben in Deutschland prägen. Sie zeigt außerdem die Notwendigkeit auf, dass ein vorsorgender Sozialstaat mit gezielten Investitionen:
- Sicherheit in schwierigen Lebensphasen bietet,
- Rahmenbedingungen schafft für eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit von Eltern und
- mit einer guten Förderung die Chancen für alle Kinder gerecht verteilt.
Bedürfnisse von Familien erkennen und erfüllen
Wie geht es Eltern in Deutschland und was erwarten sie von der Familienpolitik? Dazu hielten Professorin Dr. Renate Köcher vom Institut für Demoskopie in Allensbach und Professorin Dr. Sabine Walper, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut und Vorsitzende der Sachverständigenkommission für den Neunten Familienbericht, während des Perspektivforums zwei Impulsvorträge:
- "Zur Lage der Familien während der Corona-Krise und den Erwartungen an die Familienpolitik" sowie
- "Eltern sein in Deutschland - Ansprüche, Anforderungen und Angebote bei wachsender Vielfalt. Empfehlungen für eine wirksame Politik für Familien"
Eltern wünschen sich eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben. Sie schätzen und wünschen finanzielle Unterstützung und eine verlässliche Kinderbetreuung. Elternschaft hat sich für viele intensiviert, weil sie sich mehr Zeit und eine gute Förderung für ihre Kinder wünschen, zugleich aber befürchten, den eigenen Erwartungen nicht gerecht zu werden. Das zeigt auch der Neunte Familienbericht.
Um Familien weiter gute Perspektiven zu bieten, müssen der Dreiklang aus finanzieller, zeitbezogener und infrastruktureller Unterstützung kontinuierlich als Handlungsfelder einer nachhaltigen, chancengerechten und fortschrittlichen Familienpolitik weiterentwickelt werden.
Handlungsfeld: Wirtschaftliche Sicherheit
Das Handlungsfeld Wirtschaftliche Sicherheit beginnt bei der finanziellen Unterstützung von Familien, deren Einkommen nicht ausreicht, um ihren Kindern wirtschaftliche Sicherheit und Chancen zu ermöglichen. Um Armutsrisiken und verdeckte Armut effektiv zu bekämpfen und eine Brücke aus dem Transferbezug in die eigene Unabhängigkeit zu bauen, sollen Kindergeld und Kinderzuschlag zu einem bedarfsgerechten, gestaffelten Kindergeld integriert werden.
Ein Chartbook der Prognos AG führt Argumente für ein bedarfsgerechtes Kindergeld auf. Auch die Sachverständigenkommission für den Neunten Familienbericht benennt Kriterien für eine Kinderabsicherung, die Armutsrisiken von Kindern weiter senkt und zugleich Beschäftigungsanreize setzt.
Professor Dr. Holger Bonin, Forschungsdirektor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit:
"Die Brücke für die Kinder zwischen Hartz-IV-Bezug und Kinderzuschlag aufheben durch ein System aus einem Guss. Das ist etwas, was wir brauchen."
Handlungsfeld: Chancen für Kinder
Um eine gerechte Chancenverteilung für Kinder bis ins Grundschulalter abzusichern, soll der quantitative und qualitative Ausbau von (Ganztags-)Angeboten vorangetrieben werden. Die Fortschrittsagenda und auch die Empfehlungen des Neunten Familienberichts verweisen auf die Wirkungen, die Investitionen in eine gute Betreuungsinfrastruktur hatten und haben werden. Deswegen empfiehlt auch die Sachverständigenkommission, an diese Erfolge anzuknüpfen und bewährte Unterstützungsangebote aus dem frühkindlichen Bereich auf spätere Familienphasen und die gesamte Bildungslaufbahn der Kinder zu übertragen.
Professorin Dr. Katharina Spieß, Leiterin Bildung und Familie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:
"Es geht nicht nur um die Eltern, sondern es geht auch um die Kinder, die in diesen Einrichtungen gute frühe Bildung erfahren, wenn die pädagogische Qualität der Einrichtung gut ist."
Durch Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur ergeben sich einerseits bessere Entwicklungschancen für Kinder unabhängig von ihrem familiären Umfeld. Andererseits eröffnen sich dadurch vor allem für Mütter mehr Möglichkeiten für eine Erwerbstätigkeit und damit für ein höheres Einkommen. Damit Eltern so arbeiten können, wie sie es sich vorstellen, sich partnerschaftlich um Beruf und Familie kümmern können, muss sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern.
Dr. Michael Böhmer, Chefvolkswirt der Prognos AG:
"Der Ausbau der Ganztagsbetreuung […] ist ein Plusgeschäft für den Staat. Natürlich verursacht das erstmal Investitionskosten, es verursacht laufende Betriebskosten. Aber wir haben eben positive fiskalische Effekte über zusätzliche Steuereinnahmen bei mehr Beschäftigung, Sozialversicherungsbeiträge steigen auch. Und in Modellrechnungen [...] sehen wir also, dass wir ab dem sechsten Jahr eines solchen Programms schon wieder positive Zahlen haben auf der fiskalischen Seite und ab dem elften Jahr [...] sind die gesamten Investitionen und Betriebskosten amortisiert und ab da ist das wirklich ein Plusgeschäft für den Staat."
Handlungsfeld: Neue Qualität der Vereinbarkeit
Um auch bei vollzeitnaher, existenzsichernder Erwerbstätigkeit beider Eltern Optionen für Familienzeit zu schaffen, schlägt die Prognose AG in einem Chartbook außerdem vor, Familienarbeitszeit einzuführen. Über die Hälfte der Eltern wünscht sich 2021 eine partnerschaftlichere Aufteilung der Kinderbetreuung (53 Prozent). 66 Prozent der Eltern können sich vorstellen, ein Instrument wie die Familienarbeitszeit zu nutzen. Und auch die Unternehmen stehen einem solchen Vorschlag mit großer Offenheit gegenüber.
Dr. Martin Bujard, Forschungsdirektor Familie und Fertilität am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung:
"Familienarbeitszeit ist etwas, was für die nächsten Jahre prägend sein sollte. Alle Studien zeigen, wenn die Mütter gefragt werden, dass sie gern ein paar Stunden mehr arbeiten wollen. Umgekehrt möchten Väter gerne mehr Zeit für die Kinder haben. Und Politik muss sich auch an den Wünschen orientieren und helfen, dass die erfüllt werden."