Gastbeitrag von Kristina Köhler im Magazin FOCUS

Bundesfamilienministerin Kristina Köhler plädiert in einem Gastbeitrag für das Magazin FOCUS deutlich gegen eine staatliche Bevormundung von Familien und für deren Entscheidungsfreiheit.

"Hat sich schon einmal jemand nach den Konsumgewohnheiten der Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erkundigt? Interessiert es jemanden, wie gesund der Gesundheitsminister lebt? Fragt jemand den Finanzminister, wie er es eigentlich persönlich mit dem Sparen oder Schuldenmachen hält? Mag sein, dass es Menschen gibt, die sich für solche Fragen interessieren. Im Allgemeinen ist man aber doch bereit, persönliche Einstellungen als Teil des Privatlebens zu akzeptieren. Schließlich wird umgekehrt auch erwartet, dass in den Ressorts Finanzen, Gesundheit und Verbraucherschutz Politik für alle Menschen gemacht wird, und nicht nur für solche, deren Einstellungen sich mit denen des Amtsinhabers decken.

Was also liegt näher, als auf die immer wieder kehrende Frage nach dem Familienbild der Familienministerin kurz und bündig zu antworten: Mein Familienbild tut nichts zur Sache. Es ist doch ein Widerspruch, wenn in familienpolitischen Diskussionen ständig von "Wahlfreiheit" die Rede ist, die damit begründeten Forderungen aber letztlich auf die Verteidigung des eigenen Familienbilds hinaus laufen! Deshalb ziehe ich es vor, meinen persönlichen Lebensentwurf bei familienpolitischen Diskussionen außen vor zu lassen.

Familienpolitik hat in den letzten Jahren zweifellos viel dazu beigetragen, das Leben mit Kindern leichter zu machen. Die Zeiten, als Wahlfreiheit sich auf die Entscheidung der Frau zwischen Mutterschaft und Berufstätigkeit beschränkte, sind mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und der Einführung des Elterngelds glücklicherweise vorbei. Dass die Zahl der grundsätzlich wählbaren Optionen dadurch gewachsen ist, sollte man allerdings nicht voreilig als Durchbruch für die Wahlfreiheit feiern. Denn de facto sind nur wenige Paare in der Lage, frei – das heißt: den eigenen Bedürfnissen und denen ihrer Kinder entsprechend – zwischen unterschiedlichen Optionen des Zusammenlebens als Familie zu wählen.

Es sind meist die äußeren Umstände, die das Familienleben diktieren. Immer noch bleiben Mütter mangels bezahlbarer Kinderbetreuung zuhause, obwohl sie gerne in den Beruf zurückkehren würden. Umgekehrt können viele Paare, die ihre Kinder in den ersten Lebensjahren am liebsten ausschließlich zuhause betreuen wollen, ihre Familie von einem Einkommen allein nicht ernähren. Wünsche nach partnerschaftlicher Teilung der Familienarbeit scheitern häufig an den Realitäten des beruflichen Alltags. Väter fürchten Nachteile, wenn sie beim Arbeitgeber Zeit für die Familie beanspruchen. Und Alleinerziehende haben meist ohnehin keine Wahl. Das neue Unterhaltsrecht sieht vor, dass getrennt lebende Ehepartner nach der Scheidung grundsätzlich selbst für ihren Unterhalt verantwortlich sind. Allzu lange Aussetzer aus dem Beruf werden dadurch zum unkalkulierbaren ökonomischen und persönlichen Risiko. Das betrifft vor allem Frauen, denn immer noch sind meist sie es, die zugunsten der Familie beruflich zurückstecken.

Entscheidungsfreiheit für Eltern hat also viele Dimensionen, und nicht alle liegen im unmittelbaren Einflussbereich der Politik. Viel gewonnen wäre allerdings, wenn wir uns darauf verständigen könnten, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, ein mit einer bestimmten Rollenverteilung verbundenes Familienmodell zu fördern. Aufgabe des Staates ist es, die Übernahme von Verantwortung zu unterstützen – egal in welcher Form dies geschieht.

Familienmodelle, die mit bestimmten Rollenzuweisungen verbunden sind, verabschieden wir deshalb am besten in die private Sphäre des Einzelnen. Entscheidungsfreiheit beginnt in den Köpfen. Dass Debatten über Kinderbetreuung und die Rolle von Müttern und Vätern bisweilen Züge eines Kulturkampfs annehmen, mag man als unvermeidliche Begleitmusik des gesellschaftlichen Wandels abtun. Im Kampf um die kulturelle Deutungshoheit jedoch geraten Familien zwischen die Fronten, und vor allem für Frauen entsteht der Eindruck: Egal, wie man’s macht, es ist verkehrt. Denn immer noch unterstellt man Frauen einen Zielkonflikt zwischen Kindeswohl und beruflicher Entwicklung – und in diesem Zielkonflikt gibt es das eine scheinbar nur auf Kosten des anderen. Wahlfreiheit zu ermöglichen heißt, damit aufzuhören, die Bedürfnisse von Kindern und Eltern gegeneinander auszuspielen.

Dass Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, sollte eine Gesellschaft immer unterstützen – unabhängig davon, wie Menschen Partnerschaft und Familienleben gestalten und mit ihren beruflichen Zielen und Verpflichtungen in Einklang bringen wollen. Als verlässlichster Rahmen für familiäre Verantwortung steht die Ehe zu Recht unter dem besonderen Schutz unseres Grundgesetzes. Doch so unterschiedlich die Bedürfnisse von Familien, so unterschiedlich sind auch die Erwartungen, was die Unterstützung durch den Staat betrifft. Eine Familienpolitik "von der Stange", zugeschnitten auf ein wie auch immer geartetes Familienbild, geht deshalb immer an der Lebenswirklichkeit einer mehr oder minder großen Zahl von Müttern, Vätern und Kindern vorbei. Mein Ziel als Familienministerin ist es, Müttern und Vätern die politische Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um der Verantwortung gegenüber ihrer Familie gerecht zu werden – egal in welcher Lebenssituation sie sich befinden, egal ob sie berufstätig sind oder nicht und egal, wie sie sie sich familiäre Aufgaben teilen. Dazu gehört finanzielle Unterstützung, dazu gehört aber vor allem auch Zeit für Verantwortung. Was zählt, ist, dass die Unterstützung denjenigen zugute kommt, die sie brauchen – den Kindern, insbesondere auch denjenigen, die in einem schwierigen sozialen Umfeld aufwachsen. Denn klar ist auch: Entscheidungsfreiheit für Familien kann der Staat nur dort fördern, wo Eltern verantwortungsvoll damit umgehen.

Von fest gefügten Familienmodellen mit klar verteilten Rollen sollten wir uns im Übrigen noch aus einem weitern Grund verabschieden: Entscheidungsfreiheit für Mütter gibt es nicht ohne Entscheidungsfreiheit für Väter. Es sagt viel über unser Familienverständnis, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch vor allem als Problem der Frauen wahrgenommen wird. Bezeichnenderweise kommen in der Aufzählung der Zuständigkeiten des Ministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend "mittelalte Männer" als einzige Bevölkerungsgruppe nicht vor. Echte oder vermeintliche Konflikte zwischen der Berufstätigkeit von Müttern und den Bedürfnissen ihrer Kinder haben aber nicht selten mit der mangelnden Bereitschaft gerade jener "mittelalten" Männer zu tun, ihren eigenen Arbeitsalltag im Hinblick auf Vereinbarkeit mit den Bedürfnissen ihrer Familie zu hinterfragen und zu verändern. Wenn Väter Arbeitsalltag und berufliche Weiterentwicklung an den Bedürfnissen ihrer Kinder ausrichten (können), lässt sich die Berufstätigkeit von Frauen nicht mehr gegen das Kindeswohl ausspielen. Deshalb brauchen nicht nur Frauen, sondern auch Männer für ihre Erziehungsleistung mehr gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung. Weil neue Rollenbilder und Lebensentwürfe für aktive Väter erst im Entstehen sind, kommt einer eigenständigen Väterpolitik für die Familienpolitik der nächsten Jahre eine Schlüsselrolle zu. Dass viele Unternehmen flexible Arbeitszeiten, Betriebskindergärten und eine familienfreundliche Personalpolitik als strategischen Vorteil im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte erkannt haben, beschleunigt den dazu notwendigen Wandel der Arbeitswelt, den ich als Familienministerin ebenfalls weiter fördern möchte.

Entscheidungsfreiheit braucht Partner, und zwar im doppelten Sinne. Entscheidungsfreiheit braucht Partner in der Elternbeziehung und Partner in der Arbeitswelt: mehr aktive Väter und mehr Arbeitgeber, die bereit sind, ihre Mitarbeiter auch in ihrer Rolle als Eltern zu unterstützen. Wenn es gelingt, im Arbeitsleben Zeit und Raum für familiäre Verantwortung sowohl für Mütter als auch für Väter zu schaffen, kommen wir dem viel beschworenen Ziel wirklicher Wahlfreiheit ein gutes Stück näher."

Quelle: FOCUS 4/2010 vom 25.01.2010