Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder spricht im Interview mit der Süddeutschen Zeitung über Wichtigtuer in der Politik, neue Vaterpflichten und die widersprüchlichen Forderungen nach einer konservativeren CDU.

SZ: Frau Schröder, Sie sind jetzt sechs Monate im Amt - und gehören einem Kabinett an, das massiv in der Kritik steht. Haben Sie sich Regieren so vorgestellt?

Schröder: Nein. So wie die letzten Monate gelaufen sind, konnte sich das kein Mensch vorstellen. Doch bei aller berechtigten Kritik an der Regierung muss man auch sehen, vor welchen  Herausforderungen wir standen: Griechenland-Rettung, Euro-Rettung, Aschewolke, Sparpaket. Das waren wahrscheinlich die größten Aufgaben seit der deutschen Einheit.

SZ: Dennoch: Haben Sie eine Erklärung, warum diese Koalition es nicht schafft, besser übereinander zu reden?

Schröder: Ehrlich gestanden: nein, jedenfalls keine aus dem Kabinett heraus. Wenn wir dort  zusammensitzen, hat man den Eindruck, dass wir Minister in vielen Grundsatzfragen ähnlich ticken und gut zusammenarbeiten. Es sind viel eher andere in der Union und bei der FDP, die lange Zeit nicht verstanden haben, dass es wichtig ist, auch bei Meinungsunterschieden respektvoll übereinander zu reden. Natürlich darf man sich streiten. Es geht aber auch nicht um das Ob, es geht um das Wie.

SZ: Sie meinen die "Wildsäue" und die "Gurkentruppen" in den Parteien? Oder meinen Sie Horst Seehofer?

Schröder: Ich meine einfach, dass auch jenseits des Kabinetts gelernt werden muss, dass diese Regierung mit einer überraschend breiten Mehrheit ausgestattet wurde, um zu gestalten. Und diese Chance für unser Land müssen wir nutzen. Sonst wird das auf viele Jahre zu Recht unsere letzte Chance gewesen sein.

SZ: Was nervt Sie am meisten?

Schröder: Die Empörungsrituale - nicht im Kabinett, aber grundsätzlich in der Politik. Das Tremolo in den Stimmen alleine um des Tremolos Willen. Diese Profilierungssucht, die sich nicht aus der Sache ergibt, sondern aus dem Bedürfnis, sich wichtig zu machen. Die meisten Bürger widert das an. Mich auch.

SZ: Wäre zur Disziplinierung nicht auch Angela Merkel mehr gefordert?

Schröder: Glauben Sie mir, das Problem liegt nicht bei der Kanzlerin. Ich finde es im Gegenteil sehr wohltuend, dass Frau Merkel so unprätentiös ist. Dass da wenig Show dabei ist, dass sie effizient ist, aber auch humorvoll. Intern macht sie außerdem sehr klare Ansagen. Sie ist keine, die präventiv in der Öffentlichkeit poltert und sich dann erst sachkundig macht. Keine, die sich künstlich aufregt und es womöglich gar nicht ehrlich meint. Das ist sie alles nicht. Sie ist authentisch, und das soll auch so bleiben.

SZ: Aber das hat nicht gereicht, um bei der Bundesversammlung zweimal eine schwere Schlappe zu verhindern.

Schröder: Ja die Bundespräsidentenwahl, auch so eine Geschichte. Ich sage es einmal so: Auch hier ist das Problem nicht, dass man gegen den eigenen Kandidaten stimmt. Die Wahl ist frei und das muss sie auch sein. Aber vorher keinen Piep sagen, in der Wahlkabine heldenhaft gegen den eigenen Mann stimmen und dann die Krise ausrufen, das ist in meinen Augen keine verantwortungsvolle Politik. Aber sind wir ehrlich: Es gab ein ganzes Konglomerat an Motiven, da kann man nicht die eine Botschaft ablesen. Man muss das ernst nehmen, sicher. Aber mehr auch nicht.

SZ: Die CDU steht vor einem großen Umbruch. Blutet Ihre Partei aus? 

Schröder: Nein. Natürlich ist es erst einmal ein Verlust, in kurzer Zeit sechs Ministerpräsidenten zu verlieren. Aber das kann auch eine Chance sein: Jetzt müssen eben andere nachrücken. Und in einem Jahr werden die Neuen die starken Persönlichkeiten sein.

SZ: Mit mehr konservativem Profil?

Schröder: Wissen Sie, wenn man diejenigen, die sich besonders laut selbst als Konservative bezeichnen, fragt: Was ist für euch heute konservativ, dann kommt oft so etwas wie unverkrampfter Patriotismus, Leitkultur, Betonung der Familie, Bedeutung der inneren Sicherheit. Das aber sind alles Dinge, hinter denen sich 95 Prozent aller Christdemokraten ohnehin versammeln. Es hat doch kaum noch einer den Mut, wirklich streitbare konservative Thesen aufzustellen.

SZ: Wer sollte aus Ihrer Sicht die CDU an vorderster Front repräsentieren?

Schröder: Da gibt es einige: Frau von der Leyen, Thomas de Maizière, Norbert Röttgen, David McAllister, Julia Klöckner - das ist aber nur eine Auswahl, da gibt es noch mehr. Alle auf ihre Art sind starke politische Persönlichkeiten.

SZ: Wie sieht eine konservative und zugleich moderne Familienpolitik aus?

Schröder: Zunächst einmal müssen wir uns von dem Glauben verabschieden, wir könnten den Familien ein bestimmtes Leitbild verordnen. Das wäre anmaßend. Ich möchte, dass die Menschen Wahlfreiheit haben.

SZ: Wie erreicht man die?

Schröder: Nicht allein mit Gesetzen, es geht vor allem auch um einen Bewusstseinswandel. Der alles entscheidende Punkt dabei ist Zeit. Zeit ist die Leitwährung einer modernen Familienpolitik. Die Arbeitszeit darf nicht komplett die Familienzeit diktieren.

SZ: Wie wollen Sie das ändern?

Schröder: Wir haben ja mit dem Elterngeld schon angefangen, insbesondere mit den Vätermonaten. Wenn in einer großen Kanzlei der Chef Elternzeit nimmt, dann traut sich das später auch der junge Anwalt. Es muss auch völlig normal werden, dass ein Mann sagt, dass er um 19 Uhr nicht mehr an einem Meeting teilnehmen kann, weil er da einen Termin mit seinem Sohn hat. Und das ist dann auch gut für die junge Anwältin, weil sie nicht mehr die Einzige ist, die das sagen muss. Wir müssen uns zudem von Präsenzritualen verabschieden. Es kann nicht sein, dass der, der um 17 Uhr geht, um seine Tochter aus der Kita abzuholen, den dummen Spruch zu hören kriegt, er arbeite wohl neuerdings Teilzeit.

SZ: Alles richtig - aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Schröder: Das war ja längst nicht alles. Wir müssen zudem weg von der Wahl zwischen der 40- und der 20-Stundenwoche. Wer sich neben dem Job um seine Kinder kümmern will, braucht eher eine 30-Stunden-Woche.

SZ: Noch mal: Alles richtig, aber Gleichberechtigung herrscht auch dann noch nicht. Warum lautet die Elternzeitformel statt zwölf Mütter- und zwei Vätermonaten nicht sieben plus sieben?

Schröder: Das würde meinem Credo der Wahlfreiheit widersprechen. Dann gäbe der Staat die 50:50-Aufteilung vor.

SZ: Wieso? Es hieße doch nur, dass Paare den Höchstsatz erhalten, die sich die Kinderbetreuung gleichmäßig teilen.

Schröder: Genau das wäre aber ein unzulässiger Eingriff in die Familien. Es freut mich, wenn Eltern das so machen, aber die genaue Aufteilung zwischen ihnen geht den Staat nichts an. Wir sollten uns stattdessen lieber die Telekom zum Vorbild nehmen, die eine Selbstverpflichtung unterzeichnet hat, dass sie ihre Mitarbeiter am Wochenende und am Abend - außer in Notfällen - nicht mehr stört.

SZ: Mit Verlaub: Sie beschäftigen sich mit Randaspekten des Problems.

Schröder: Im Gegenteil! Heute ist es doch so, dass in den Firmen Männer Karriere machen, die 70, 80 Stunden die Woche arbeiten und die Kinder outgesourct haben - zum Beispiel an die Ehefrau.

SZ: Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass Frauen oft genau dann nicht arbeiten, wenn Karrieren Fahrt aufnehmen - weil sie daheim die Kinder hüten.

Schröder: Stimmt. Auch das ist eine Frage des Zeitmanagements. Da zählt übrigens auch nicht das Argument, ab einer bestimmten Position sei permanente Präsenz im Betrieb unabdingbar. Viele Chefs sind dauernd auf Reisen - und entsprechend nicht im Büro.

SZ: Familienpolitik kostet einen dreistelligen Milliardenbetrag pro Jahr. Seit Jahren verspricht die Union, einmal alle Leistungen danach aufzuschlüsseln, ob sie eigentlich zielführend sind.

Schröder: Das läuft bereits. Wir messen über mehrere Jahre, wie die Leistungen wirken. Also: Stärken sie die frühkindliche Bildung? Stärken sie die Wahlfreiheit? Stärken sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Eröffnen sie Zeitoptionen? Ergebnisse liegen 2013 vor.

SZ: Bis dahin wollen Sie auch für 35 Prozent der unter Dreijährigen einen Kitaplatz anbieten. Schaffen Sie das?

Schröder: In den letzten Monaten ist eine große Dynamik in den Ausbau reingekommen. Alle unsere Berechnungen sagen deshalb: Ja, wir schaffen das.

SZ: Sind 35 Prozent nicht zu wenig?

Schröder: 35 Prozent bedeuten, dass wir fünf Prozent der unter Einjährigen, ein Drittel der Einjährigen und zwei Drittel der Zweijährigen betreuen können. Damit wird der Bedarf gedeckt. Wichtig ist, dass wir die 35 Prozent schaffen, denn auf die haben Eltern ab August 2013 einen Rechtsanspruch.

SZ: Dann danken Sie also der SPD, die diesen Rechtsanspruch durchgesetzt hat.

Schröder: Das hat die große Koalition beschlossen, insofern bin ich auch der SPD dankbar. Ich wäre ihnen aber noch dankbarer, wenn sie jetzt seriös an diesem Ziel mitarbeiten würden.

Das Interview erschien am 21. Juli in der Süddeutschen Zeitung. Das Gespräch führten Stefan Braun und Claus Hulverscheidt.