Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Welt am Sonntag

Dr. Kristina Schröder gab der Welt am Sonntag (Erscheinungstag 10. März 2013) das folgende Interview:

Frage: Laut Elternumfrage ist das Gros der jungen Väter und Mütter hierzulande mit den Möglichkeiten für eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie zufrieden. Ist das Bild vom familienunfreundlichen Deutschland eine Mär - oder sollte man lieber keiner Untersuchung trauen, die man nicht selbst entworfen hat?

Dr. Kristina Schröder: Ich glaube, dass das Ergebnis der Tatsache Rechnung trägt, dass sich wirklich einiges getan hat in Deutschland. Angesichts der Vielzahl von Angeboten, mit denen der Gesetzgeber, aber auch viele Firmen heutzutage das Leben junger Eltern erleichtern, ist die Arbeitswelt heute schon eine andere als vor 15 Jahren. Insofern sollten uns die guten Ergebnisse ermutigen. Fatal wäre dagegen der Schluss, dass nun nichts mehr zu tun ist. Sorgenvoll stimmt mich zum Beispiel, dass noch immer viel zu viele Eltern karrieretechnisch auf der Verliererseite landen, bloß weil sie Angebote wie Heim- oder Teilzeitarbeit nutzen.

Frage: Vor allem die, die 50 Prozent und weniger arbeiten, sagen, Teilzeitarbeit wirke sich negativ auf ihre Karriere aus. Wie kann man diese Gruppe besser unterstützen?

Dr. Kristina Schröder: Erstens müssen die Unternehmen weg von der starren Alternative, entweder 20- oder 40-Stunden-Modelle anzubieten. Aus Umfragen wissen wir, dass sich junge Mütter und Väter vor allem 75-Prozent-Lösungen wünschen, also 30 Stunden Wochenarbeitszeit. Das brächte mehr Zeit für die Familie, ohne dass man im Beruf automatisch auf dem Abstellgleis landen müsste. Zweitens brauchen wir einen Rechtsanspruch für die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, damit eine Arbeitszeitreduzierung, die aus familiären Gründen in bestimmten Phasen sehr sinnvoll sein kann, keine Einbahnstraße bleibt.

Frage: Den fordern Sie und auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Wird das denn vor der Wahl noch etwas?

Dr. Kristina Schröder: Nur wenn die FDP es mitmacht. Da bin ich realistisch und daher skeptisch. Ursula von der Leyen und ich sind uns aber einig, dass das Thema im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird.

Frage: Um mehr Frauen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen, regt die Bosch-Stiftung an, dass das volle Elterngeld nur dann gezahlt werden soll, wenn beide Elternteile je sieben Monate zuhause bleiben. Muss man dieses Modell nicht ernsthaft überdenken?

Dr. Kristina Schröder: Die Gedanken sind frei, auch die Grünen haben ein solches Modell ja schon gefordert. Aber ich sage nein, das wäre nämlich ein vergiftetes Geschenk für die Familien, denn das nähme ihnen die persönliche Gestaltungsfreiheit. Schon heute haben die Familien die Möglichkeit, die Elternzeit hälftig aufzuteilen, wenn sie das möchten. Meine Aufgabe besteht nicht darin, den Familien zu sagen wie sie leben sollen, sondern ihnen zu ermöglichen, dass sie so leben können wie sie leben wollen. Außerdem: Ein solches Modell wäre faktisch nichts anderes als eine verkappte Elterngeldkürzung.

Frage: Aber gegen eine Anreizpolitik ist doch nichts einzuwenden. Allein aus Gründen des Fachkräftemangels ist es schließlich notwendig, mehr Frauen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen.

Dr. Kristina Schröder: Das wäre kein Anreiz, das wäre ein Zwang. Familienpolitik ist für mich kein Anhängsel der Arbeitsmarktpolitik. Es mag sein, dass die Wirtschaft bestimmte Bedürfnisse hat. Meine Aufgabe ist es aber, mich für die Bedürfnisse von Familien einzusetzen und ein besonders dringliches Bedürfnis von ihnen besteht darin, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Manch einem Arbeitgeberfunktionär scheint ja selbst ein Jahr Elternzeit schon zu lang sein. Das mag aus Sicht der Unternehmen sogar nachvollziehbar sein, hat aber mit der Lebenswirklichkeit und den Wünschen der Familien hierzulande nichts zu tun.

Frage: Vier von zehn Frauen bereuen aus Karrieregründen, Elternzeit genommen zu haben. Wie kann man dieses Problem lindern?

Dr. Kristina Schröder: Neben einem Rückkehranspruch von Teilzeit auf Vollzeit geht es vor allem darum, den Wiedereinstieg nach der Elternzeit zu verbessern. Gerade berufstätigen Müttern wird heute oft noch Jahre nach der Elternzeit nachgetragen, dass sie eine gewisse Zeit ausgestiegen sind - was auch ein wesentlicher Grund für die oft eklatanten Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen ist. Wir brauchen mehr Angebote für Frauen zur Vorbereitung auf den Wiedereinstieg, besonders für die dann anstehenden Gehaltsverhandlungen. Zu oft stellen Wiedereinsteigerinnen schon aus lauter Dankbarkeit, dass sie einen Tag Home Office machen dürfen, ihr Licht komplett unter den Scheffel und wagen nicht, auch ein ordentliches Gehalt zu fordern. Und verkennen damit die Psychologie der meist männlichen Chefs: Wer wenig kostet, ist auch wenig wert - ein tragischer Schluss, der viele Frauen benachteiligt.

Frage: Bei den Wünschen der Familien rangieren Betreuungsangebote ganz vorn. Bis der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz im August greift, ist nur noch wenig Zeit. Wie weit klaffen Bedarf und Angebot noch auseinander?

Dr. Kristina Schröder: Das ist von Kommune zu Kommune, von Land zu Land unterschiedlich. Interessanterweise werden fast alle Landkreise nach Aussage des Landkreistages den Rechtsanspruch ab August erfüllen können. Probleme gibt es dagegen vor allem in westdeutschen Großstädten.  Manche Oberbürgermeister wie Christian Ude aus München haben offenkundig zu sehr darauf spekuliert, dass der Bund den Rechtsanspruch noch einmal verschiebt - und oft haben sie daher ihre Hausaufgaben nicht rechtzeitig gemacht.

Frage: Aber reicht allein die Bereitstellung der Mittel aus, um den Ausbau so zu beschleunigen, wie es vonnöten ist?

Dr. Kristina Schröder: Der Bund darf verfassungsrechtlich nur Geld geben, kann aber keinen einzigen Kitaplatz selber bauen. Wir haben deshalb flankierend noch zahlreiche Programme gestartet - zum Beispiel zur Werbung von Tagesmüttern und -Vätern. Wir bieten Unternehmen an, in den ersten zwei Jahren praktisch die Hälfte der Personalkosten für neu gegründete Betriebskitas zu zahlen. Außerdem helfen wir den Kommunen, über die KfW zinsgünstige Darlehen für den Bau von Kitaplätzen aufzunehmen.

Frage: Wie ist die Resonanz auf die Programme?

Dr. Kristina Schröder: Die Kommunen reißen sich förmlich um das Geld. Allein in den ersten vier Wochen haben wir finanzielle Klarheit für rund 1.000 neue Kitaplätze geschaffen. Die KfW hat uns mitgeteilt, dass bei ihr bislang kein anderes Kredit-Programm in einem solchen Tempo nachgefragt wurde. Wenn der Trend anhält, gehen dank dieser Gelder bis zum Sommer 10.000 neue Kita-Plätze in den Bau. Das ist die Größenordnung, die in den Landkreisen noch fehlt. Dabei spielt wohl auch eine ganz wichtige Rolle, dass die Kommunen dieses Geld an den Ländern vorbei erhalten. Das spart Bürokratie und Zeit.

Frage: Familienrechtler laufen sich jetzt schon warm und versuchen Eltern Klagen schmackhaft zu machen. Rechnen Sie mit einer großen Klagewelle?

Dr. Kristina Schröder: Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Kommunen. Es wird bestimmt Klagen geben, vor allem da, wo der Bedarf nicht sauber erhoben wurde, aber nach aktuellen Einschätzungen keine bundesweite Klageflut. Auch als vor rund 15 Jahren der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die über Dreijährigen eingeführt wurde, war ja vor einer gigantischen Klagewelle gewarnt worden - die dann gar nicht eingetreten ist. Das wird diesmal ähnlich sein. Dennoch bin ich sehr froh, dass es die Möglichkeit einer Klage gibt. Die Klagemöglichkeit ist das wirksamste Instrument, um den Druck im Kessel aufrecht zu erhalten.

Frage: Unter welchen Umständen können Eltern mit der Zahlung eines Verdienstausfalls rechnen, wenn sie keinen Kitaplatz bekommen?

Dr. Kristina Schröder: Ich kann hier keine Urteile vorwegnehmen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat hierzu ja Rechtsgutachten erstellen lassen. Gerichte könnten demnach die Kommune verpflichten, einen Platz zur Verfügung zu stellen, entweder in einer Kita oder bei einer Tagesmutter. Kann die Kommune das nicht, muss sie unter Umständen die Kosten für einen privaten  Betreuungsplatz übernehmen. Und wenn das alles nicht möglich ist, würde auch der Ersatz von Verdienstausfällen eine Option sein.

Frage: Aus der Wirtschaft kommt schon die nächste Forderung: ein Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Schule, auch über das 10. Lebensjahr hinaus. Ist das notwendig?

Dr. Kristina Schröder: Am Anfang meiner Amtszeit kamen in meiner Bürgersprechstunde vor allem Klagen wegen mangelnder Kita-Plätze. Jetzt dreht sich mindestens die Hälfte der Fragen von Familien um eine mangelnde Betreuung an Grundschulen. Sicher ist: Das wird in den kommenden Jahren das nächste große Thema bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein.

Frage: Wäre ein Rechtsanspruch sinnvoll?

Dr. Kristina Schröder: Das ist vom Grundgesetz her nicht Aufgabe des Bundes, sondern der Länder. Aus Sicht der Familien ist in der Tat ein großer Bedarf da, zumal die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch bei älteren Kindern nicht unbedingt leichter wird - gerade angesichts der intensiven Hausaufgabenbetreuung, die Eltern oft übernehmen müssen.

Frage: Sie haben ein Familiensplitting angekündigt. Wie soll das aussehen?

Dr. Kristina Schröder: Wolfgang Schäuble und ich arbeiten an gemeinsamen Vorschlägen für ein Familiensplitting. Mein Leitbild ist dabei: Es gibt zwei Dinge, die der Staat unterstützen sollte - einerseits, wenn zwei Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen und andererseits, wenn Kinder da sind. Wenn beides zusammen kommt, sollte der Staat die größte Unterstützung geben. Ich wehre mich gegen Vorschläge, wonach kinderlose Ehen oder solche, in denen die Kinder schon aus dem Haus sind, keine besondere Unterstützung mehr erhalten sollen. Beispielsweise sparen die Sozialkassen Jahr für Jahr 1,5 Milliarden Euro Arbeitslosengeld II, weil zuerst der Ehepartner die Arbeitslosigkeit des anderen auffängt statt das Amt. Über das, was Ehepaare für die Gesellschaft leisten, redet leider kein Mensch. Auch in Lebenspartnerschaften übernehmen zwei Menschen füreinander diese Verantwortung und betonen damit einen zutiefst konservativen Wert.

Frage: Das sehen andere in Ihrer Partei aber anders.

Dr. Kristina Schröder: Wir diskutieren hier sehr intensiv und das ist auch gut so. Aber: Darüber wird völlig übersehen, wie andere Parteien mit der Ehe und Familien umgehen. Die Pläne der Grünen zum Beispiel würden bedeuten, dass sechs Millionen Ehepaare durchschnittlich über 100 Euro im Monat weniger zur Verfügung hätten. Die SPD-Pläne, die Pauschale für Betreuung, Erziehung und Ausbildung abzuschaffen, bedeuten, dass die Eltern von 3,5 Millionen Kindern deutlich weniger Geld in der Haushaltskasse haben. Diese familienpolitische Auseinandersetzung sollte die Union viel offensiver führen. Da liegt die eigentliche Wertedebatte.

Frage: Sie würden eine steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften begrüßen?

Dr. Kristina Schröder: Meine Position vertrete ich seit zehn Jahren, ist also wirklich nicht neu. Ehe und Familie sind für uns ein zentraler Wert. Deshalb ist es wichtig, bei solchen Diskussionen die Partei in ihrer Breite mitzunehmen. Ich bin froh, dass die Gruppe derjenigen wächst, die es für genauso unterstützenswert halten, wenn zwei Frauen oder zwei Männer füreinander Verantwortung übernehmen.

Frage: Soll das geplante Familiensplitting das Ehegattensplitting ersetzen?

Dr. Kristina Schröder: Nein, es würde es ergänzen. Ehen, die aus welchen Gründen auch immer kinderlos geblieben ist oder in der die Kinder aus dem Haus sind, sind ein Wert an sich und dürfen nicht gegen Familienhaushalte ausgespielt werden.

Frage: Wie wollen Sie das finanzieren?

Dr. Kristina Schröder: Wir stehen am Anfang und nicht am Ende unserer Arbeiten. Wir werden über dem Wünschenswerten ganz sicher nicht das Machbare aus dem Auge verlieren. Zweistellige Milliardenbeträge sind sicherlich unrealistisch.

Frage: Wird das Familiensplitting noch in dieser Legislatur kommen?

Dr. Kristina Schröder: Wir wollen das Modell zur Bundestagswahl vorlegen. Damit ist ja klar, dass wir über ein Vorhaben für die nächste Legislaturperiode sprechen.

Frage: Setzen Sie sich auch für das volle Adoptionsrecht für Homosexuelle ein?

Dr. Kristina Schröder: Bei jeder Adoption wird in Deutschland immer danach entschieden: Was dient dem Kindeswohl? Das steht im Zentrum - und nicht das Wohl der möglichen Eltern. Es ist Konsens, dass es für ein Kind grundsätzlich gut  ist, wenn es sowohl eine weibliche als auch eine männliche Bezugsperson hat. Aus diesem Grund habe ich auch das Programm "Mehr Männer in Kitas" gestartet. Dennoch: Genauso wichtig sind stabile Verhältnisse, eine Zugewandtheit der Eltern - und all das können auch gleichgeschlechtliche Eltern leisten. Im Ergebnis ist jede Adoption eine Einzelfallentscheidung, bei der alle diese Faktoren berücksichtigt und gewichtet werden müssen.

Frage: Das Urteil des Verfassungsgerichts zur Sukzessivadoption ist in Ihrer Partei scharf kritisiert worden. Erika Steinbach twitterte: "Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor den Verfassungsrichtern". Geht das nicht zu weit?

Dr. Kristina Schröder: Gott sei Dank haben wir das Recht auf freie Meinungsäußerung in diesem Land. Das gilt auch für die Debatte über dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Ich persönlich finde, wir sollten die Gewaltenteilung schätzen. Sie ist elementar für unsere Demokratie.