Schekker Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig zum neuen Bundesprogramm "Demokratie leben!"

Manuela Schwesig, Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel
Manuela Schwesig © Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel

Schekker: Frau Ministerin Schwesig, wir leben in einem demokratischen Verfassungsstaat: Was bedeuten Vielfalt und Freiheit für Sie persönlich?

Manuela Schwesig: Wir leben in einem freien und demokratischen Land, in dem Menschen unterschiedlicher Religion und verschiedener kultureller Hintergründe friedlich zusammenleben. Das ist ein hohes Gut. Und gerade in der jetzigen Zeit merken wir, dass dieses Gut auch geschützt werden muss. Es geht hier nicht nur um Toleranz, sondern auch um Respekt für jeden Einzelnen. Dass wir einander in unserer Verschiedenartigkeit respektieren und dafür sorgen, als freie und demokratische Gesellschaft zusammenzustehen.

Schekker: Wie tolerant ist unsere Demokratie gegenüber extremistischen Ansichten?

Manuela Schwesig: Angriffe auf unsere Demokratie und auf unsere Freiheit dürfen und werden wir nicht hinnehmen. In meiner Heimat Mecklenburg-Vorpommern habe ich erlebt, was es bedeutet, wenn Rechtsextreme versuchen, auf subtile Art und Weise ihr Gedankengut zu verbreiten, Leute tyrannisieren und im Landtag gegen Flüchtlinge hetzen. Das hat mich sensibilisiert für alle Formen der Ausgrenzung, Abwertung und Verfolgung. Und ich freue mich, dass die Mehrheit in unserem Land auf die Straße geht, um gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu demonstrieren. Meinungs- und Pressefreiheit sind wichtige demokratische Werte, genauso die Versammlungsfreiheit. Aber: Hetze und Hass haben keinen Platz auf unseren Straßen und in unserer Gesellschaft. Gerade in den letzten Wochen und Monaten zeigt sich: Wir haben in Deutschland eine wehrhafte Demokratie.

Schekker: Sie engagieren sich sehr für die Extremismusprävention. Aus diesem Grund haben Sie das neue Programm "Demokratie leben" gestartet. Worum geht es bei diesem Programm genau?

Manuela Schwesig: Das Bundesprogramm heißt: "Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit". Da ist der Name im wahrsten Sinne des Wortes "Programm". Es ist wichtig da anzusetzen, bevor etwas passiert. Das heißt, wir setzen mit dem Programm auf Prävention, also auf Vorbeugung. Diese Arbeit wird vor Ort gemacht - in den Regionen, in den Dörfern und Städten. Da gibt es Menschen, Organisationen und Institutionen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, gegen Antisemitismus oder gewaltorientierten Islamismus.

Das sind zum Beispiel Projekte wie „Dialog macht Schule“, wo Studierende – überwiegend mit Migrationshintergrund – zu Mentorinnen und Mentoren ausgebildet werden. Sie gehen in Schulen und diskutieren mit Schülern ab der 7. Klasse. Das geht über zwei Jahre parallel zum Unterricht. Oft sind das Jugendliche aus sozialen Brennpunkten, die mit Politik so gar nichts am Hut haben und sich vielleicht auch nicht als Teil unserer Gesellschaft verstehen. Themen wie der Islam, aber auch Religion an sich, Grund- und Menschenrechte, Identität, Heimat, Mobbing und Rassismus  - auch eigene Erfahrungen damit - können besprochen, vertieft und neu verstanden werden. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern Chancen und Wege zur Teilhabe in einer Demokratie aufzuzeigen und sie gemeinsam mit ihnen zu erproben. Das ist nur ein Beispiel. Und solche Initiativen und Organisationen müssen wir stärken – finanziell und auch langfristig.

Schekker: Welche Projekte werden durch das Programm unterstützt, und in welchem Umfang?

Manuela Schwesig: Ein Beispiel habe ich ja schon genannt. Dann wird auch zum Beispiel die türkische Gemeinde dabei unterstützt, gemeinsam mit anderen muslimischen Verbänden eigene Projekte aufzubauen. Sie haben ja einen noch direkteren Zugang zu den muslimischen Jugendlichen. Das ist wichtig, dass man hier auch gemeinsam an einem Strang zieht.

Insgesamt stehen für das Programm, das am 1. Januar angelaufen und auf fünf Jahre angelegt ist, in diesem Jahr 40,5 Millionen Euro zur Verfügung. Zehn Millionen Euro davon gehen an Präventionsprojekte im Bereich Islamismus, Salafismus und Antisemitismus.

Schekker: Ein wichtiger Punkt des Programms ist die Beratung von Aussteigern, vor allem aus der rechtsextremistischen Szene. Wie kann man sich eine solche Beratung vorstellen?

Manuela Schwesig: Es gibt Beratungsstellen für jene, die vielleicht schon Erfahrung gemacht haben mit Extremismus – ob nun im Islamismus oder Rechtsextremismus – und die merken: Ich will da raus. Ich weiß aber nicht wie… Da haben wir schon ziemlich viel Erfahrung mit Projekten für Rechtsradikale, und das werden wir nun auch auf die anderen Bereiche ausweiten. Es gibt auch Anlaufstellen für Angehörige, Eltern oder Freunde, die merken: Mit meinem Sohn, meiner Tochter oder meinem Freund stimmt was nicht… Mein Ministerium gibt für die Ausstiegsberatung Fördergelder an die Bundesländer, die die Beratung dann vor Ort organisieren können.

Schekker: Ein konkretes Beispiel: Seit Mitte Oktober gehen die sogenannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße, zuletzt in Dresden 25.000. Wie kann die Politik einem solchen Phänomen begegnen?

Manuela Schwesig: Wir erleben in diesen Wochen, dass in unserem Land Stimmung gegen "den Islam" gemacht wird, und wir müssen solchen Tendenzen entschieden entgegentreten. Die meisten Bürgerinnen und Bürger heißen alle Menschen willkommen, egal welcher Religion sie angehören, egal aus welchem Kulturkreis sie stammen. Wir sind ein freies, weltoffenes Land. Die Organisatoren der Pegida-Märsche schüren bewusst diffuse Ängste – diese Ängste und die Unsicherheit mancher müssen wir auch ernst nehmen. Die Organisatoren der Pegida-Demonstrationen versuchen die Unsicherheit und Ängste vieler Menschen zu instrumentalisieren, um ihre rassistischen und menschenfeindlichen Einstellungen zu verbreiten. Deshalb ist es wichtig, schon früh anzusetzen: Aufzuklären über die verschiedenen Kulturen und dafür zu sorgen, dass man sich begegnet, sich kennenlernt.

Schekker: Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Berichte von deutschen Islamisten, die nach Syrien oder in den Irak reisen, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat (ISIS) anzuschließen. Greift hier das Programm?

Manuela Schwesig: Die Radikalisierung für den gewaltbereiten Salafismus ist ein sehr ernstes Problem. Der gewaltorientierte Islamismus zieht insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene an, die sich nicht zugehörig fühlen in unserer Gesellschaft und die vielleicht selbst Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Die sozialen Medien und das Internet spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch da setzen wir an: Gegen Hasstiraden im Internet. Da arbeiten wir zum Beispiel mit Jugendschutz.net zusammen und der Bundeszentrale für politische Bildung.

Schekker: Häufig wird gesagt, eine Hauptursache für Extremismus ist Angst vor Abstieg gepaart mit einer schlechten finanziellen Lage. Wäre es nicht ein nachhaltigerer Ansatz, an dieser finanziellen Lage etwas zu ändern?

Manuela Schwesig: Den Menschen mehr Geld zu geben, damit ist das Problem nicht zu lösen. Das ist zu kurz gedacht. Man muss darauf setzen, dass jeder teilhaben kann an der Gesellschaft. Auch an der Arbeitswelt. Wenn man sich ausgegrenzt fühlt, dann ist man eher empfänglich für extremistische Strömungen wie den Dschihadismus.

Auch beim Rechtsextremismus ist das der Fall. Man wendet sich ab von der Demokratie, ist vielleicht auch enttäuscht davon, wie das eigene Leben läuft. Viele fühlen sich nicht ernst genommen. Das alles ist oft mit weiteren Faktoren wie menschenfeindlichen Einstellungen, Gewaltbereitschaft oder Europafeindlichkeit verbunden. Wie ich zu Beginn bereits gesagt hatte: Der Zusammenhalt funktioniert nur, wenn wir einander in unserer Verschiedenartigkeit respektieren und dafür sorgen, als freie und demokratische Gesellschaft zusammenzustehen.