BamS: Wie wollen Sie alt werden?
Jens Spahn: Gesund und fit. Und mit 105 irgendwann morgens nicht mehr wach werden.
Dr. Franziska Giffey: Auch gesund und munter. Mein Ziel ist 100.
Hubertus Heil: Ich möchte auf jeden Fall aktiv alt werden. Mit Freunden, nicht allein.
BamS: Pflegekräfte klagen darüber, dass in unserem Land millionenfach gegen die Menschenwürde verstoßen wird. Dass Senioren stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen, weil Pfleger so überlastet sind.
Dr. Franziska Giffey: Pflegeschüler, die ich neulich besucht habe, hatten als größten Wunsch mehr Zeit für die Menschen, die sie pflegen, erst danach kam das Thema Geld. Nicht im 14-Minuten-Takt zu waschen, auf die Toilette zu bringen. Ohne mehr Leute im System geht das nicht. Wir müssen alles dafür tun, dass es mehr Pflegerinnen und Pfleger gibt. Deshalb haben wir durchgesetzt, dass Pflegeschüler ab 2020 eine Ausbildungsvergütung bekommen.
Jens Spahn: Viele Pflegekräfte glauben nicht, dass wir als Minister überhaupt wissen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Und sie glauben uns auch nicht, dass wir daran etwas ändern wollen. Doch wir meinen es ernst. Wir wollen ihren Alltag konkret verbessern.
BamS: Sie wollen Zehntausende Pflegestellen in Altenheimen und Kliniken schaffen. Wie wollen Sie die besetzen, wenn es jetzt schon 38.000 offene Jobs gibt?
Jens Spahn: Sie haben recht: Stellen finanzieren allein reicht nicht. Jetzt brauchen wir dafür auch Bewerber. Genau darum starten wir die konzertierte Aktion Pflege.
Hubertus Heil: Ein großer Teil der Pflegekräfte arbeitet ohne Tarifvertrag, verdient entsprechend wenig. Ich schäme mich ein bisschen dafür, dass wir in Deutschland überhaupt als absolute Lohnuntergrenze einen Pflegemindestlohn von derzeit 10,55 Euro im Westen und 10,05 Euro im Osten festlegen mussten. Meine Aufgabe ist es, dass wir jetzt binnen eines Jahres einen Flächentarifvertrag in der Pflege hinbekommen. Dafür sprechen wir mit Arbeitgebern und Gewerkschaften, die hier vor allem in der Pflicht sind. Wenn es endlich einen Flächentarifvertrag gibt, werde ich den zügig für allgemeinverbindlich erklären. Das wird die Löhne spürbar verbessern.
Dr. Franziska Giffey: Wir geben hier den Schwur ab. Hier sitzen drei Minister, die gemeinsam gegen den Pflegenotstand vorgehen wollen.
Hubertus Heil: Das ist der Pflegepakt hier.
Jens Spahn: Hand drauf.
Dr. Franziska Giffey: Dieser Schwur ist das Zeichen, dass drei Ministerien mit 43 gesellschaftlichen Partnern eine Lösung für gute Pflege finden. Ab Dienstag wird in fünf Arbeitsgruppen nicht gequatscht, sondern hart gearbeitet.
BamS: Wenn die Politik nicht mehr weiter weiß, gründet sie einen Arbeitskreis
Hubertus Heil: Nein. Wir haben einen Kraftakt vor uns. Das geht nur über Parteigrenzen hinweg und mit vereinten Kräften.
Dr. Franziska Giffey: Zusammen mit den Bundesländern, mit Arbeitgebern, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden.
Jens Spahn: Wir geben uns maximal ein Jahr Zeit. Dann wollen wir konkrete und verbindliche Vereinbarungen mit allen haben, die in der Pflege Verantwortung tragen. Das wird kein Kaffeekränzchen.
BamS: Brauchen wir Pflegekräfte aus dem Ausland?
Dr. Franziska Giffey: Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass mehr Leute aus dem Inland wieder in der Pflege arbeiten wollen. Die Arbeitsbedingungen müssen sich verbessern, genau wie das Image des Berufs. Es muss cool sein, Pflegefachkraft zu sein. Wir werden dazu eine Ausbildungs- und Informationsoffensive starten.
Jens Spahn: Die Wahrheit ist trotzdem: Es ist kaum mehr möglich, in Deutschland ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung ohne ausländische Pflegekräfte zu betreiben. Die gewinnen wir aber auch nur, wenn wir hier attraktive Arbeitsbedingungen bieten. Wir werden bis zu 50.000 zusätzliche Pflegekräfte brauchen. Da werden wir auch im Ausland suchen müssen. Aber nur in Ländern mit sehr junger Bevölkerung, die nicht selbst dringend Pflegekräfte benötigen.
BamS: Die Philippinen?
Jens Spahn: So weit müssen Sie gar nicht schauen. Im Kosovo ist jeder Zweite unter 25 Jahre alt. In Albanien ist es ähnlich. Und dort ist die Pflegeausbildung häufig besser als wir denken. Was mich verzweifeln lässt: Diese ausgebildeten Fachkräfte müssen oft zehn Monate auf ein Visum für Deutschland warten. Diese Abläufe müssen wir beschleunigen.
Hubertus Heil: Wir müssen vor allem die Potenziale im Inland heben, und wir verschenken übrigens bei den Zuwanderern, die schon da sind, viel Potenzial. Leider schieben manche Bundesländer junge Leute ab, die kurz vor der Unterschrift eines solchen Ausbildungsvertrags stehen. Das ist Unsinn.
BamS: Also sollten wir Migranten anbieten: Lernt Deutsch und Pflege, dann könnt ihr hierbleiben?
Hubertus Heil: Ja, auch. Das noch Wichtigere: Dass wir endlich ein ordentliches Zuwanderungsgesetz bekommen. Wir müssen gezielt Leute anwerben, ohne Zuwanderung in die Sozialsysteme zu organisieren.
Jens Spahn: Wer in Deutschland als Pflegekraft arbeiten will, sollte bereits in seinem Heimatland eine entsprechende Ausbildung und Deutschkurse absolvieren. Dann ist er für unsere Gesellschaft auch ein Gewinn. An einer Stelle hakt es allerdings gewaltig: Die Anerkennung von ausländischen
Berufsabschlüssen dauert viel zu lange. Das müssen wir ändern.
Hubertus Heil: Da hilft eine pragmatische Idee: Ausländer, die als Pfleger arbeiten wollen, sollten für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen dürfen. Bedingung: Sie erhalten keinen Cent aus den Sozialsystemen, und wenn sie nach den sechs Monaten keine feste Stelle als Pflegekraft haben, müssen sie wieder gehen.
BamS: Mehr Pfleger, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne - glauben Sie wirklich, dass die Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,3 Prozentpunkte ausreicht?
Dr. Franziska Giffey: Natürlich wird das zusätzliches Geld kosten. Aber jeder Euro davon ist gut angelegt. Das Thema ist sogar noch größer: In den sozialen Berufen arbeiten 5,7 Millionen Menschen, 80 Prozent davon sind Frauen. Sie halten unsere Gesellschaft zusammen, sie verdienen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Ich will soziale Berufe stärken.
BamS: Würden Sie Ihre eigenen Eltern pflegen?
Hubertus Heil: Meine Mutter hatte Krebs. Als es zu Hause nicht mehr ging, haben meine Frau und ich sie zu uns in die Wohnung geholt. Es war eine besondere Situation, weil meine Tochter gerade geboren war. Da habe ich unser Baby, unseren kleinen Sohn und meine Mutter gewindelt. Diese letzte Lebenswoche meiner Mutter habe ich als Moment besonderer Nähe erlebt. Aber es war auch nur eine Woche. Darum habe ich höchsten Respekt vor Angehörigen, die das über einen langen Zeitraum machen. Ich kann aber auch verstehen, dass das für viele aus beruflichen oder persönlichen Gründen nicht geht.
Jens Spahn: Ich würde jede freie Minute für meine Eltern da sein und mich kümmern. Aber ich würde nicht zur Vollzeitpflege meinen Beruf aufgeben. Das traue ich mir nicht zu, und das erwarten meine Eltern auch nicht. Außerdem: Wenn meine Eltern wirklich einmal ins Pflegeheim müssten, dann gäbe ich damit doch nicht meine Verantwortung ab. Keine Pflegeversicherung der Welt ersetzt die gegenseitige Unterstützung in der Familie.
Dr. Franziska Giffey: Meine Eltern haben mich in meinem Leben immer unterstützt. Ich fühle daher das Bedürfnis, etwas für sie zu tun, wenn es ihnen mal nicht mehr so gut geht. Meine Großmutter konnte irgendwann nicht mehr zu Hause leben, und es konnte auch keiner aus der Familie rund um die Uhr bei ihr sein. Wir waren dann sehr froh, dass sich Menschen im Pflegeheim aufopferungsvoll um sie gekümmert haben.