Kristina Schröder im Interview mit dem FOCUS

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab dem FOCUS (Erscheinungstag 21. November 2011) das folgende Interview:

Frage: Warum wurde für die Pflege älterer Angehöriger von zu Hause aus extra ein neues Gesetz eingeführt?

Dr. Kristina Schröder: Wir wissen, dass die meisten pflegebedürftigen Menschen so lang wie möglich zuhause mit ihrer Familie bleiben wollen. Und wir wissen, dass viele Menschen sich selber mehr um ihre Angehörigen kümmern möchten. Hier geraten viele allerdings schnell an die eigenen Grenzen, vor allem diejenigen, die voll im Berufsleben stehen. Mit der Familienpflegezeit ermöglichen wir es, den nötigen Freiraum für die Pflege eigener Angehörige zu bekommen, ohne die Arbeitsstelle aufgeben und Rentenansprüche verlieren zu müssen.

Frage: Ist häusliche Pflege überhaupt noch zeitgemäß - bei all den professionellen Einrichtungen?

Dr. Kristina Schröder: Ja, die häusliche Pflege ist zeitgemäß, weil sie den Wünschen der Menschen entspricht. Dazu kommt, dass wir die demografische Entwicklung nicht aus dem Blick verlieren dürfen: In Deutschland beziehen rund 2,4 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Mehr als 1,6 Millionen Menschen werden zu Hause versorgt – durch Angehörige und ambulante Dienste. Nach derzeitigen Hochrechnungen werden es in 20 Jahren mehr als 3,2 Millionen, bis zum Jahr 2050 sogar über 4,3 Millionen sein. Das heißt: Die häusliche Pflege wird an Bedeutung eher noch zunehmen. Darauf müssen wir frühzeitig reagieren.

Frage: Dennoch ist die Entscheidung für Arbeitgeber freiwillig, ob er dem Mitarbeiter die teilweise Freistellung von seiner Arbeit gewährt. Reicht das aus?

Dr. Kristina Schröder: Wir müssen dringend neue Antworten finden, wie wir das Miteinander und Füreinander stärken können, ohne die Sozialsysteme ständig zusätzlich zu belasten. Ein gutes Beispiel dafür ist das Modell der Altersteilzeit. Es hat eine große Akzeptanz bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern gewonnen, ohne dass Beschäftigte und Unternehmen in gesetzliche Zwänge gedrängt wurden. Die Nutzung der Altersteilzeit nahm seit ihrer Einführung 1997 innerhalb von zehn Jahren auf 100.000 Teilnehmer zu. Ich bin sicher, dass es sich bei der Familienpflegezeit ähnlich verhalten wird. Denn das Interesse ist schon jetzt groß, und zwar sowohl von Seiten der Arbeitgeber wie auch der Arbeitnehmer.

Frage: Der Arbeitgeber muss laut Gesetz für zwei Jahre in Vorleistung gehen. Machen denn da die Unternehmen überhaupt mit?

Dr. Kristina Schröder: Die Unternehmen gehen mit dem Lohnvorschuss kein Risiko ein. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BafzA) sichert dem Unternehmer eine zinslose Refinanzierung. Sollte der Arbeitnehmer kündigen oder privatinsolvent gehen, so springt das BafZa ein. Die Unternehmen müssen keine Liquiditätseinbußen fürchten. Dem BafzA wiederum werden die nötigen Mittel durch die KfW zur Verfügung gestellt. Es gibt deshalb keinen Grund für die Unternehmen, aus finanziellen Erwägungen heraus die Familienpflegezeit nicht anzubieten.