NOZ: Frau Ministerin, wissen Sie was eine Bundesliga-Spielerin im Schnitt verdient?
Lisa Paus: Es ist in etwa das Durchschnittseinkommen in Deutschland. Von Millionen wie ihre männlichen Kollegen können sie jedenfalls nur träumen.
NOZ: Der Auftritt der Frauen-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft (EM) hat eine Debatte entfacht. Auch Nationalspielerinnen erhalten weniger Prämie als die Männer der Nationalelf. Warum ist das plötzlich ein Thema für die Politik?
Lisa Paus: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat bisher immer argumentiert, dass der Fußball der Frauenteams viel weniger Zuschauerinnen und Zuschauer hat. Dieses Argument gilt seit dieser Fußball-Europameisterschaft nicht mehr. In anderen Ländern werden die Nationalteams bereits gleich bezahlt. Der DFB sollte sich einen Ruck geben und Männer und Frauen gleich bezahlen. Wenn er Frauenteams genauso vermarktet und präsentiert wie männliche Mannschaften, dann kommen auch die Zuschauerinnen und Zuschauer.
NOZ: Im Herbst drohen Familien gleich zwei große Herausforderungen: steigende Energiepreise und die Corona-Pandemie. Welche Möglichkeiten, Familien zu entlasten schlagen Sie vor?
Lisa Paus: Wir werden weitere Entlastungen für Familien brauchen. Das muss aber zielgerichtet geschehen. Diese Krise hat eine Dimension, die vom Staat nicht komplett ausgeglichen werden kann. Wichtig ist, dass wir diejenigen unterstützen, die existenziell bedroht sind. Das sind vor allem einkommensschwache Familien und Rentnerinnen und Rentner. Die Hartz-IV-Regelsätze, das Kindergeld und das Wohngeld müssen erhöht werden. Auch den Kinderzuschlag für Familien, die aufstocken müssen, können wir erhöhen.
NOZ: Der Bundesfinanzminister schlägt eine Steuerreform vor, mit der die kalte Progression abgestellt werden soll. Viele Familien könnten profitieren. Wäre das auch ein Weg?
Lisa Paus: Natürlich würden manchen Änderungen bei den Steuern helfen. Ich bin zum Beispiel für die Erhöhung des Grundfreibetrages. Konkret werden uns das die neuen Zahlen des Existenzminimumsberichts zeigen, der im Herbst kommt. Aber die Abschaffung der kalten Progression nützt vor allem den Top-Verdienerinnen und Top-Verdienern und ist eben kein geeignetes Instrument, um Familien in unteren und mittleren Einkommen zielgenau zu unterstützen. Außerdem würde das zu Mindereinnahmen vor allem bei Ländern und Kommunen in zweistelliger Milliardenhöhe führen. Und das schwächt insbesondere die Mittel für Kitas, Erzieherinnen und Erzieher oder den günstigen Nahverkehr. Ich plädiere klar dafür, die Finger von der kalten Progression zu lassen und andere Hebel für zielgerichtete Unterstützung, wie ein höheres Kindergeld, anzusetzen.
NOZ: Auch schon bei mittleren Einkommen frisst der höhere Steuertarif Lohnerhöhungen auf…
Lisa Paus: Von einer relevanten Erhöhung des Kindergeldes würden die Familien mit mittlerem Einkommen sehr profitieren. Das halte ich für das bessere Instrument. Es geht nicht um eine Einmalzahlung, sondern um eine dauerhafte Erhöhung des Kindergeldes.
NOZ: In Ihrem Haus wird außerdem das zentrale sozialpolitische Projekt der Ampel - die Kindergrundsicherung - vorbereitet. Bekommt Hartz IV für Kinder nur einen neuen Namen oder werden Kinder künftig mehr Geld als den Regelsatz bekommen?
Lisa Paus: Ich bin zuversichtlich, dass Kinder aus ärmeren Verhältnissen mit der Kindergrundsicherung künftig mehr Geld zum Leben haben. Ich werde alles dafür tun, dass es wirklich zu einer materiellen Verbesserung für die Kinder kommt.
NOZ: Müssen sich Familien wieder auf einen Herbst und Winter mit Home-Schooling und Home-Office einstellen?
Lisa Paus: Wir haben doch erschreckende Befunde der letzten zwei Jahre vorliegen. Die psychosozialen Folgen der Lockdowns sind dramatisch, viele Kinder und Jugendliche haben depressive Symptome. Bis zu einem Schuljahr ist den Kindern verloren gegangen. Wir müssen in diesem Herbst das Versprechen einhalten, dass es keine Kita- und Schulschließungen mehr gibt. Das muss wirklich Priorität haben. Der Entwurf zum Infektionsschutzgesetz ist eine gute Vorbereitung auf den nächsten Corona-Winter.
NOZ: Die Koalition hat das Werbeverbot für Abtreibungen gestrichen. Wollen Sie noch weiter gehen und das Abtreibungsverbot aufheben?
Lisa Paus: Wir werden eine Kommission einsetzen, die ergebnisoffen prüfen soll, ob die derzeitige Regelung noch zeitgemäß ist und welche Folgen sie für die gesundheitliche Versorgung ungewollt Schwangerer hat. Persönlich finde ich, dass Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden sollten. Aber ich will der Kommission hier nicht vorgreifen. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass ein Verbot nicht zu weniger Abbrüchen führt, sondern nur die Gesundheit von Frauen gefährdet. Ich wünsche mir, dass wir noch mit dieser Bundesregierung eine Entscheidung über den Paragrafen 218 treffen werden.