tagesschau.de: Frau Paus, sind Sie jetzt zufrieden mit dem geeinten Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung?
Lisa Paus: Ich bin sehr froh, dass wir heute als Ampel die zentrale sozialpolitische Reform auf den Weg bringen: die Kindergrundsicherung. Das ist ein gemeinsamer Erfolg dieser Bundesregierung, aber natürlich auch des Familienministeriums. Wir werden es tatsächlich schaffen, mit der Kindergrundsicherung einen Systemwechsel in Deutschland einzuleiten und damit den Einstieg in die wirksame Bekämpfung der strukturell verfestigten Kinderarmut in Deutschland hinzubekommen.
tagesschau.de: Einige Punkte waren zuletzt noch strittig, weshalb der Gesetzentwurf erst jetzt im Kabinett ist.
Lisa Paus: Wir wollten uns bei einigen Punkten noch vergewissern, dass die Zahlen auch sicher sind. Das ist ja bei diesem Projekt sehr entscheidend. Und ja, es ist uns gelungen noch weitere Bürokratiekosten um 150 Millionen Euro zu senken. Das war von Anfang an mein Plan und wir haben das nochmal verifiziert. Und tatsächlich: Diese Kindergrundsicherung senkt deutlich Bürokratiekosten, unter anderem durch eine weitere Maßnahme.
tagesschau.de: Welche genau?
Lisa Paus: Mit der Kindergrundsicherung holen wir 1,9 Millionen Kinder raus aus dem Bürgergeld. Dabei haben wir nochmal genau geschaut: Wie ist das denn eigentlich mit dem Einkommen der Kinder? Derzeit gilt eine Anrechnung bei den Bürgergeld-Eltern, der sogenannte Kindergeldübertrag. Die Frage war: Wie gehen wir zukünftig damit um? Dieser Kindergeldübertrag wird abgeschafft und wir können damit Bürokratiekosten in Höhe von 150 Millionen Euro einsparen.
tagesschau.de: Was steht jetzt im Vordergrund: die Digitalisierung und Zusammenfassung der Leistungen oder die Verringerung der Kinderarmut?
Lisa Paus: Mit der Kindergrundsicherung wird es Leistungsverbesserungen geben. Ja, das soziokulturelle Existenzminimum wird jetzt nicht so stark erhöht, wie sich manche das vielleicht gewünscht haben. Wir ändern und verbessern es aber, und es wird zusätzliche Leistungsverbesserungen für einzelne Gruppen geben: beispielsweise für Alleinerziehende oder für Jugendliche ab 14 Jahren, die derzeit im Kinderzuschlags-Bezug sind.
Deswegen ist es beides: Eine Leistungsverbesserung auf der einen Seite, aber auch eine Strukturreform, die so entscheidend ist, damit die Leistungen auch tatsächlich zu den Familien kommen. Damit kommen wir von einer Holschuld der Familie zu einer Bringschuld des Staates zur Bekämpfung der Kinderarmut.
tagesschau.de: Finanzminister Lindner würde sagen: Es gibt keine Leistungsverbesserungen.
Lisa Paus: Die konkreten Leistungsverbesserungen finden Sie im Gesetz, auf das wir uns geeinigt haben.
tagesschau.de: Um wieviel Prozent wird sich die Zahl armutsgefährdeter Kinder in den nächsten Jahren durch die Kindergrundsicherung verringern?
Lisa Paus: Mit der Kindergrundsicherung werden wir die Armut in Deutschland nicht auf null reduzieren - aber wir schaffen den Einstieg. Und wir haben dann das zentrale Instrument, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen. Die Wirkung des Gesetzes werden wir feststellen können, sobald die Maßnahmen anfangen zu greifen.
tagesschau.de: Können Sie andere Zahlen nennen: Bleibt es bei den 2,4 Milliarden Euro Kosten bei der Einführung und wie steigen die Ausgaben in den Folgejahren?
Lisa Paus: 2025 rechnen wir mit 47 Prozent Inanspruchnahme. In den Folgejahren ist natürlich unser Ziel, dass wir mindestens 80 Prozent der Familien erreichen, die Anspruch auf zusätzliche Leistungen haben. Von daher sind die 2,4 Milliarden der Startpunkt. Sobald Digitalisierung und Automatisierung ausgebaut sind werden es im Jahr 2028 sechs Milliarden Euro sein. Wenn die Familien, die Anspruch auf die Leistungen haben, diese auch tatsächlich beantragen, dann gibt es auch mehr Ausgaben.
tagesschau.de: Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist weiterhin hoch. Welchen Anreiz gibt es für diese Gruppe, einen Abschluss zu machen, wenn es bis zum Alter von 21 Jahren durch die Kindergrundsicherung sozusagen ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt?
Lisa Paus: Das ist nicht der Fall. Die Kindergrundsicherung stellt in allen Varianten sicher, dass es die Erwerbsanreize verstärkt, weil auf jeden Fall mehr Netto vom Brutto bleibt.
tagesschau.de: Betroffene und Verbände kritisieren: das Gesetz reicht nicht. Was würden Sie ihnen gerne sagen?
Lisa Paus: Ja, es ist noch nicht die Beseitigung der Kinderarmut. Es ist ein Einstieg in die Abschaffung. Aber ich sage an alle Verbände: "Schaut euch das Gesetz noch mal genau an!" Es wird deutlich mehr bei den Familien ankommen, die es tatsächlich brauchen.
tagesschau.de: Wie reagieren Sie auf Kritiker, die durch den Familienservice mehr Bürokratie befürchten?
Lisa Paus: Wir schaffen keine neue zusätzliche Behörde. Wir reduzieren die Bürokratie mit diesem Gesetz. Ja, es kommt zu Verlagerungen: Kinder kommen jetzt raus aus den Jobcentern, rein zum Familienservice. Aber das ist ein wesentliches Ziel der Kindergrundsicherung, dass wir eine Stelle haben, die sich um all die familienpolitischen Fragen kümmert und dass die Jobcenter den Job machen, deren Namen sie ja schon tragen: Sie sollen sich darum kümmern, dass die Eltern in Jobs kommen.
tagesschau.de: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bezeichnete zuletzt den Start der Kindergrundsicherung zum 1. Januar 2025 als "unrealistisch". Was sagen Sie?
Lisa Paus: Die Stellungnahme der BA haben wir uns intensiv angeschaut und relevante Teile in den Gesetzentwurf übernommen. Damit haben wir zusätzliche Schnittstellen reduziert. Das ist völlig in meinem Sinne und eine gute Voraussetzung, dass wir den Startschuss zum 1. Januar 2025 schaffen.
tagesschau.de: Haben Sie denn einen Plan B, falls das Gesetz im Bundesrat und Vermittlungsausschuss länger hängen bleibt?
Lisa Paus: Diese Kindergrundsicherung ist ein Meilenstein, um die strukturell verfestigte Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen und zu reduzieren. Jetzt ist es entscheidend, dass wir das schnell auf den Weg bringen, damit die Bürgerinnen und Bürger pünktlich von der Kindergrundsicherung profitieren können.
tagesschau.de: Aber dem muss zugestimmt werden.
Lisa Paus: Ja, von daher ist es in der Tat nach dem Bundeskabinett dann in der Hand des Bundestages, aber vor allen Dingen auch des Bundesrates, ob diese Reform kommt oder nicht. Es gibt viele gute Gründe, warum wir diese Reform brauchen. Wenn wir das gemeinsam wollen, dann können wir es auch schaffen.
tagesschau.de: Frau Paus, war es denn der Sache dienlich, dass Sie Ihren Streit mit dem Finanzminister so öffentlich ausgetragen haben bis hin zur Blockade beim Wachstumschancengesetz?
Lisa Paus: Es ist richtig, dass der Weg zu diesem Gesetz nicht ganz einfach gewesen ist. Aber es ist gut, dass wir jetzt so weit sind und dass wir es zeitlich geschafft haben, es ins Kabinett zu bringen. Es ist höchste Zeit. Wir sind noch im Plan.