Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ): Erst die Pandemie, jetzt Krieg und Inflation. Wie geht es den Familien am Ende dieses Krisenjahres?
Lisa Paus: Die Krisen treffen Familien ganz besonders. Wir alle müssen damit fertigwerden, dass es Krieg in Europa gibt. Aber Kinder und Jugendliche erleben das hautnah, wenn geflüchtete Kinder in ihre Kita oder Schule kommen. Oder sie die Bilder im Fernsehen oder in den sozialen Medien sehen. Das ist eine schwierige, unsichere Zeit, die uns alle vor große Herausforderungen stellt. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung mit den Entlastungspaketen und den Energiepreisbremsen die Menschen unterstützt, die jetzt besonders auf Hilfen angewiesen sind. Existenzielle Not darf nicht diesen Winter beherrschen. Einen Schwerpunkt haben wir deshalb auch auf Unterstützung für die Familien mit geringen Einkommen gelegt, die besonders unter den massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten leiden. Ich glaube fest daran, dass Deutschland ein solidarisches Land ist. Wir müssen jetzt als Gesellschaft zusammenhalten.
WAZ: Sie wollen Kinderarmut mit einer Kindergrundsicherung bekämpfen. Womit können die Familien rechnen?
Lisa Paus: Die Kinderarmut hat sich in der Krise weiter verschärft, die Schere geht noch stärker auseinander. Das raubt Lebenschancen und ist schlichtweg nicht fair. Die Kinder können nichts dafür. Die Kindergrundsicherung kann hier ein wirklicher Paradigmenwechsel sein. Sie ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Bundesregierung. Hierfür wollen wir einen Kindergrundsicherungscheck einführen. Familien, deren Einkommen eine bestimmte Grenze unterschreitet, sollen über die Finanzbehörden gezielt angesprochen werden.
WAZ: Kommt die Leistung dann automatisch?
Lisa Paus: Die Beantragung der Leistung soll bequem online über ein Kindergrundsicherungsportal abgewickelt werden. Wir wollen erreichen, dass die Leistungen, die Kindern zustehen, auch wirklich bei den Familien ankommen. Deshalb wird die Auszahlung so unbürokratisch und digital wie möglich gestaltet. Wir wollen, dass Familien dem Geld nicht hinterherlaufen müssen. Es wird dann nur noch eine zuständige Stelle geben, die die Leistungen auszahlt: Dazu zählen ein Garantiebetrag, den alle Eltern unabhängig von ihrem Einkommen beziehen, und ein einkommensabhängiger Zusatzbetrag.
WAZ: Wann ist es so weit?
Lisa Paus: Anfang des kommenden Jahres werde ich Eckpunkte vorlegen. Nach der Sommerpause folgt der Gesetzentwurf. 2025 wird die Kindergrundsicherung dann ausgezahlt.
WAZ: In welcher Höhe?
Lisa Paus: Das werden wir als Letztes festlegen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Inflation so hoch bleibt wie jetzt. Dennoch ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, absolute Zahlen zu diskutieren.
WAZ: Gibt es mehr Geld für jedes Kind?
Lisa Paus: Wir müssen uns gezielt darum kümmern, dass die Familien mit wenig Einkommen mehr Geld für ihre Kinder bekommen. Gut situierte Familien dagegen brauchen keine höheren Leistungen.
WAZ: Ist für die Kindergrundsicherung überhaupt noch Geld da, wenn hunderte Milliarden für Entlastungspakete und Rüstungsprojekte ausgegeben werden?
Lisa Paus: Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag auf dieses wichtige sozialpolitische Projekt verpflichtet. Der Bundeskanzler steht voll dahinter. Und meine Gespräche zeigen mir, dass auch alle beteiligten Ministerien die Kindergrundsicherung wollen.
WAZ: Sie wollen auch einen Vaterschaftsurlaub einführen. Was versprechen Sie sich davon?
Lisa Paus: Wir wollen erreichen, dass Partner oder Partnerinnen nicht mehr regulären Urlaub nehmen müssen, wenn sie nach der Geburt für ihr Kind da sein wollen. Die ersten zwei Wochen sind von größter Bedeutung für das Neugeborene und die Eltern. Und die Freistellung unterstützt Eltern in ihrem Wunsch nach partnerschaftlicher Aufgabenteilung. Es ist sinnvoll, diese Freistellung im Mutterschutz zu regeln - finanziert aus einem Fonds beim Bundesgesundheitsministerium, der von den Arbeitgebern gespeist wird.
WAZ: Wann bekommen Väter diese Möglichkeit?
Lisa Paus: Wir peilen den 1. Januar 2024 an. Wir wollen das mit einem größeren Vorlauf machen, damit sich alle darauf einstellen können. Für kleine und mittlere Unternehmen sind solche Freistellungen gerade in der Krise nicht ganz einfach.
WAZ: Was soll für Selbstständige gelten?
Lisa Paus: Wir sind gerade dabei, uns das Thema Mutterschutz für Selbstständige noch einmal genau anzuschauen. Gleichbehandlung zwischen Selbstständigen und Angestellten ist nicht ganz einfach. Aber es muss auch Selbstständigen möglich sein, ohne zu hohe Hürden eine Familie gründen zu können. Daher sollten wir auch die Freistellung für Selbstständige ermöglichen.
WAZ: Vaterschaftsurlaub - wie finden Sie diesen Begriff?
Lisa Paus: Als ich geboren wurde, hatte mein Vater regulären Urlaub genommen. Das machen auch jetzt noch viele Väter. Die ersten zwei Wochen mit einem Baby sind aber alles andere als Urlaub. Das Wort Vaterschaftsurlaub ist aber auch deshalb nicht passend, weil Kinder heute in vielfältigen Partnerschaften und Lebensgemeinschaften groß werden und es nicht nur Väter sind, die freinehmen, sondern zum Beispiel auch die Lebenspartnerin der Mutter.