Handelsblatt: Frau Schwesig, die SPD will eine neue Familienbesteuerung - zahlen das die Besserverdiener?
Manuela Schwesig: Wir wollen das Steuerrecht für alle Familien gerechter machen. Wir wollen keiner Familie etwas wegnehmen – aber eben auch Unverheirateten und Alleinerziehenden helfen. Aktuell gehen über vier Millionen Familien und ihre Kinder bei der steuerlichen Förderung leer aus, weil sie nicht verheiratet oder alleinerziehend sind. Dieses Ungleichgewicht wollen wir abschaffen.
Handelsblatt: Also ab einem Stichtag kein Splitting mehr für Kinderlose?
Manuela Schwesig: Ehen werden natürlich auch künftig steuerlich unterstützt. Das ist verfassungsrechtlich geboten. Niemandem wird etwas weggenommen. Wer das Ehegattensplitting bislang bekommt, für den hat es Bestand. Aber es kann doch nicht sein, dass verheiratete Paare ohne Kinder mit einem Einkommen von 200.000 Euro zusätzlich den höchsten Steuervorteil haben - während unverheiratete Paare mit Kindern diese Erleichterungen nicht erhalten.
Handelsblatt: Und Familien mit Einkommen von 50.000 oder 60.000 Euro…
Manuela Schwesig: …müssen sich keine Sorgen machen. Auch sie sollen unterstützt werden - möglichst sogar besser. Es geht ja nicht nur ums Ehegattensplitting. Ich profitiere als Ministerin deutlich mehr vom Kinderfreibetrag als meine alleinerziehende Freundin, die viel weniger verdient, vom Kindergeld. Dem Staat sollte jedes Kind gleich viel wert sein. Für mich endet die Mitte der Gesellschaft nicht bei 50.000 Euro Jahresgehalt.
Handelsblatt: Wenn Sie beim Splitting Bestandsschutz geben, kostet das viele Milliarden Euro.
Manuela Schwesig: Das bisherige System kann man nur schrittweise umstellen, deshalb nehmen wir uns auch die Zeit, die Konzepte weiter zu diskutieren und auch durchzurechnen. Aber der Stillstand, den wir jetzt im Steuerrecht haben, kann so nicht bleiben. Das Steuerrecht muss gerechter werden und sich an den Lebensrealitäten von Familien mit Kindern orientieren.
Handelsblatt: Mehr Geld sollen die Länder schon vor der Wahl für den Kita-Ausbau erhalten – über welche Summen reden wir hier?
Manuela Schwesig: Gelder für den Kita-Ausbau und die Verbesserung der Qualität sind keine Sozialleistungen, sondern knallharte Wirtschaftsinvestitionen. Um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern, braucht es nicht nur Straßen und Brücken, sondern auch Kinderbetreuung und gute Bildung. Familienpolitik ist auch Wirtschaftspolitik: Damit es uns in Deutschland weiterhin wirtschaftlich so gutgeht, ist es wichtig, dass Eltern Familie und Job besser vereinbaren können. Sie sind die Leistungsträger, die den Wirtschaftsstandort Deutschland zu dem machen, was er ist.
Handelsblatt: Nach 2017 wollen Sie einen neuen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Schüler - bis wann?
Manuela Schwesig: Zunächst bis zehn Jahre. Bei den Kitas sind wir schon weit, aber Eltern von Schulkindern haben oft Probleme, weil die Schule um ein Uhr endet und danach keine Betreuung gesichert ist. Vor allem Frauen, die vielleicht Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten können, während die Kinder die Kita besuchen, müssen dann wieder im Job zurückstehen. Sie verlieren Einkommen oder müssen den Job sogar aufgeben. 80 Prozent der Eltern wollen Ganztagsbetreuung der Grundschüler - es gibt aber nur Plätze für 20 Prozent. Den Ausbau müssen wir Schritt für Schritt in Angriff nehmen.
Handelsblatt: Für die Kitas wollen Sie ein Qualitätsgesetz - das lehnen bisher alle Länder, auch SPD-regierte, ab.
Manuela Schwesig: Ich packe es deshalb nicht in die Schublade, sondern suche Verbündete. Auch deshalb habe ich zu unserem Kita-Gipfel diesen Donnerstag erstmals die Wirtschaft eingeladen. Wir sind gut, aber wir müssen besser werden. Es geht nicht nur um Betreuung, sondern auch um Bildung. Die Basis für Sprache, Motorik oder Sozialverhalten wird lange vor der Schule gelegt. Dafür brauchen Erzieher vor allem Zeit für jedes einzelne Kind.
Handelsblatt: In Baden-Württemberg betreut eine Erzieherin im Schnitt drei Kleinkinder, in Berlin und im Osten sechs.
Manuela Schwesig: Richtig. Dafür gibt es etwa im Osten mehr Plätze insgesamt und mehr voll ausgebildete Fachkräfte statt Hilfskräften. Da müssen alle nachlegen. Deshalb habe ich ja dafür gekämpft, dass die Länder fast eine Milliarde Euro jährlich aus dem Betreuungsgeld erhalten.
Handelsblatt: Zusammen mit der Milliarde, die Sie schon jetzt an Kita-Betriebskosten vom Bund bekommen, reicht das dann aber.
Manuela Schwesig: Der Bund gibt seit diesem Jahr mehr finanzielle Mittel an Länder und Kommunen als jemals zuvor. Das ist auch nötig, denn wir benötigen mehr Plätze und müssen weiter an der Qualität arbeiten. Um das zu erreichen, ist die Wirtschaft ein wichtiger Partner, denn auch sie profitiert davon. Mehr als 90 Prozent der Eltern wollen beide arbeiten. Es ist also im Interesse der Wirtschaft, dass wir mehr Geld in Kitas stecken.
Handelsblatt: Wollen Sie die flächendeckende Rundum-die-Uhr-Kita?
Manuela Schwesig: Nein, natürlich nicht. Aber wer in der Pflege, im Krankenhaus, im Einzelhandel oder im Schichtbetrieb arbeitet, braucht eine Kita, die auch nach 16 Uhr offen hat - und im Ausnahmefall auch samstags und über Nacht. Gerade alleinerziehende Frauen arbeiten sehr oft in solchen Berufen. Mit Kitas, die von 8 bis 16 Uhr geöffnet sind, haben sie nur wenige Chancen auf einen Job. Viele alleinerziehende Frauen sind aus diesen Gründen auch ungewollt in der Langzeitarbeitslosigkeit. Deshalb werde ich ab 2016 mit "Kita Plus" ein Programm starten, das 300 Modell-Kitas mit Randzeitenbetreuung fördern wird.
Handelsblatt: Was erwarten Sie von Unternehmen außer Rückenwind?
Manuela Schwesig: Es kann nicht sein, dass der Staat eine immer umfassendere Kinderbetreuung organisiert, damit Arbeitnehmer ständig bereitstehen. Die Unternehmen müssen gerade Eltern bei der Arbeitszeit entgegenkommen. Unsere jüngste Umfrage zeigt: Heute hilft ein Drittel der Betriebe bei der Kinderbetreuung - da ist noch viel Luft nach oben. Mein Haus unterstützt die Unternehmen auch dabei. So werde ich zum Beispiel den Ausbau von Betriebskitas weiter fördern. Und was viele nicht wissen: Betriebe können einen Zuschuss zur Kinderbetreuung geben - das ist für beide Seiten profitabler als eine Lohnerhöhung.
Handelsblatt: Und der Wirtschaftsminister?
Manuela Schwesig: Dass Gabriel die Kita-Konferenz unterstützt, ist schon ein starkes Zeichen: Vereinbarkeit ist nicht länger ein Thema, um das sich nur die Familienministerin kümmert, sondern das zentral ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Handelsblatt: Wann kommt Ihre Familienarbeitszeit von zweimal 32 Stunden mit teilweisem Lohnausgleich?
Manuela Schwesig: In der derzeitigen Koalition scheint das nicht möglich zu sein. Mich überrascht, dass gerade die, die sonst immer sagen, Familien sollten füreinander Zeit haben, hier mauern. Ich will, dass Väter und Mütter ihre Arbeitszeit flexibler einsetzen können. Mit kleinen Kindern sollte es möglich sein, vorübergehend weniger zu arbeiten und Unterstützung zu erhalten. Wer später in Vollzeit zurückkehren will, darf daran nicht gehindert werden. Die SPD wird die Idee weiterverfolgen.
Handelsblatt: Aber es gibt schon viel mehr Teilzeitjobs als vor wenigen Jahren ...
Manuela Schwesig: Aber sie haben nach wie vor einen schlechten Ruf - übrigens auch im öffentlichen Dienst - und führen oft noch in die Sackgasse. Natürlich gibt es tolle Einzelbeispiele von anspruchsvollen Teilzeitjobs, aber es ist noch viel zu wenig, gerade in Führungspositionen. Hier brauchen wir einen Kulturwandel. Das kann man aber nicht verordnen - dafür brauche ich Arbeitgeber und Gewerkschaften als Partner. Ich bin optimistisch: Wir haben dazu ein Memorandum unterzeichnet. Und einige Wirtschaftsvertreter, wie etwa DIHKPräsident Schweitzer, denken da sehr modern.
Handelsblatt: Wann kommt das Rückkehrrecht aus Teilzeit auf Vollzeit?
Manuela Schwesig: Arbeitsministerin Andrea Nahles wird 2016 einen Entwurf vorlegen. Wir müssen dahin kommen, dass jemand in einem langen Arbeitsleben, das im Zweifel von 16 bis 67 dauert, seine Arbeitszeit immer mal wieder anpasst - sei es wegen Kindern oder wegen der Pflege.
Handelsblatt: Wie sollen Arbeitgeber den Spagat zwischen Arbeitszeitwünschen und Kundenwünschen hinkriegen?
Manuela Schwesig: Der einzige Weg ist, im Gespräch zu bleiben. Kleinere Betriebe kriegen das offenbar eher hin. Wenn die Wirtschaft gute Fachkräfte haben will und dabei zentral auf die Frauen setzt, muss sie Wege für Mütter und Väter finden.