Eltern: Nehmen wir an, Ihr Sohn würde Sie fragen, was eine Familie ist. Was antworten Sie?
Manuela Schwesig: Dass Familie die Menschen sind, die man liebt und denen man vertraut - und dass Familien heute bunt sind. Es können Paare wie mein Mann und ich mit einem Kind sein, Alleinerziehende, Patchwork- und Regenbogenfamilien oder auch Paare ohne Kinder. Mein Sohn erlebt bei seinen Freunden, dass es ganz unterschiedliche Familienformen gibt. Er spürt, dass es in der Familie darauf ankommt, füreinander da zu sein und gemeinsame Werte zu leben. Dazu gehören in erster Linie Liebe, Vertrauen, Respekt und Zeit füreinander. Wir machen uns oft Sorgen, ob die Kita gut genug ist oder ob man die richtige Schule ausgesucht hat, aber am Ende ist doch das Wichtigste, dass Kinder jederzeit ihren Eltern vertrauen können.
Eltern: Ich schwöre, ich würde diese Frage auch einem männlichen Familienminister stellen: Wie viel Zeit verbringen Sie tatsächlich mit Ihrer Familie?
Manuela Schwesig: Es ist sympathisch, dass Sie das sagen. Denn ich habe beobachtet, dass Männern diese Frage eben oft nicht gestellt wird! Mein Mann und ich leben in dem gleichen Spagat wie viele andere Familien auch. Man möchte seinen Job gut machen und Zeit für seine Familie haben. Die Balance zu halten ist nicht immer leicht. Aber es gelingt uns ganz gut, weil wir uns die Erziehungs- und die Hausarbeit partnerschaftlich teilen.
Eltern: Ihr Mann hilft mit?
Manuela Schwesig: Mein Mann arbeitet sogar verkürzt und einen Tag von zu Hause. Soweit das möglich ist, versuche ich auch, einen Tag in der Woche Homeoffice zu machen. Es gibt außerdem feste Freiräume. Meist hole ich mittwochs meinen Sohn von der Schule ab, und der Nachmittag und der Abend gehören uns. Die Sonntage versuche ich frei von Politik zu halten, ebenso die Urlaube.
Eltern: Ihr Sohn besucht eine Ganztagsschule?
Manuela Schwesig: Erst war er in einer Ganztagskita, jetzt geht er in eine Grundschule mit angeschlossenem Hort. Sonst würden mein Mann und ich das nicht hinkriegen. Außerdem weiß ich, wie wichtig es unserem Sohn ist, unter seinen Freunden zu sein. Er macht Sport, geht zum Schach, kocht. Das könnten wir schon auch, aber das macht nicht halb so viel Spaß wie mit Kindern.
Eltern: Welche Familienrituale sind Ihnen wichtig?
Manuela Schwesig: Das gemeinsame Frühstück. Umso mehr freuen wir uns auf den Sonntag, wo man ausschlafen und im Bett noch kuscheln darf und gemütlich frühstückt.
Eltern: Zurück zur Politik und zum veränderten Familienbild: Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr Beschränkungen beim Adoptionsrecht homosexueller Lebenspartner für verfassungswidrig erklärt. Das bisherige Verbot der "Sukzessivadoption" verstoße gegen das Recht auf Gleichbehandlung, entschieden die Richter. Was werden Sie hier tun?
Manuela Schwesig: Die Bundesregierung wird zügig die Sukzessivadoption umsetzen: Auch wenn wir uns noch nicht auf das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften geeinigt haben. Wir haben uns vorgenommen, Diskriminierung in allen Bereichen, in denen eingetragene Lebenspartnerschaften noch nicht rechtlich gleichgestellt sind, abzuschaffen. Ich werde mich als Bundesfamilienministerin weiter dafür einsetzen, dass homosexuelle Paare nicht benachteiligt werden.
Eltern: Das eine sind gesetzliche Regelungen, das andere die gesellschaftliche Akzeptanz, wie die heftige Debatte zu den Plänen der badenwürttembergischen Landesregierung zeigte: Sie wollte Homosexualität stärker im Schulunterricht berücksichtigen.
Manuela Schwesig: Richtig. Daher werden wir diesmal auch den weltweiten Tag für Regenbogenfamilien, der im Mai in Köln stattfindet, unterstützen. Diese Familienform ist nicht schlechter oder besser als andere.
Eltern: Ihnen geht der Ruf voraus, sehr berufsorientiert zu sein. Stimmt dieser Eindruck?
Manuela Schwesig: Ich arbeite gern und liebe meine Familie. Und für mich gehört beides zusammen. Aber ich möchte keiner Familie vorschreiben, wie sie zu leben hat: Es muss endlich Schluss damit sein, dass man sich zwischen Kind und Beruf entscheiden muss. Es muss beides gehen.
Eltern: Ist das in Ostdeutschland selbstverständlicher als in Westdeutschland?
Manuela Schwesig: Ja, das Verständnis für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dort größer. Bei westdeutschen Müttern erlebe ich immer noch, dass sie sich für ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen. Da wünsche ich mir mehr Respekt und Leichtigkeit.
Eltern: Und mehr Unterstützung von der Politik. Wie wollen Sie Müttern und Vätern konkret helfen?
Manuela Schwesig: Familien brauchen Geld, Zeit und vor allem gute Bildungs- und Betreuungsangebote für ihre Kinder. Ich bin nicht dafür, dass Familien rund um die Uhr arbeiten. Ich will, dass die Arbeitswelt endlich familienfreundlicher wird. Deshalb habe ich auch die Debatte um die Familienarbeitszeit angestoßen.
Eltern: … bei der beide Elternteile "große Teilzeit" arbeiten. Aber ist das nicht das Aus für jede Karriere?
Manuela Schwesig: Das muss sich ändern. Gerade in der "Rushhour", wenn die Kinder klein sind und Eltern vielleicht pflegebedürftig werden, muss Teilzeit möglich sein und darf nicht in die berufliche Sackgasse führen. Die Koalition hat sich deshalb darauf geeinigt, ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit gesetzlich festzuschreiben. Darüber hinaus werde ich das Elterngeld weiterentwickeln zu einem ElterngeldPlus. Das Gesetz wird dazu schon nächstes Jahr, im Juli 2015, in Kraft treten. Derzeit werden Väter und Mütter, die nach einer Auszeit wieder schnell zurück in den Beruf gehen, beim Elterngeld benachteiligt. Das wollen wir ändern: Wer Teilzeit arbeitet, soll künftig den vollen Anspruch des Elterngelds nutzen können. Und wenn sowohl Vater als auch Mutter Teilzeit arbeiten und sich gemeinsam um das Kind kümmern, soll es einen Partnerschaftsbonus geben.
Eltern: Wie sieht das dann konkret aus?
Manuela Schwesig: Wenn Väter und Mütter in Teilzeit arbeiten, können sie mit dem ElterngeldPlus bis zu 28 Monate lang Elterngeld beziehen und bekommen maximal die Hälfte des regulären Elterngelds. Also zum Beispiel 650 Euro über 24 Monate statt 1300 Euro über zwölf Monate ohne Erwerbstätigkeit. Den Partnerschaftsbonus gibt es, wenn beide Eltern gleichzeitig und mindestens vier Monate lang 25 bis 30 Stunden in Teilzeit arbeiten. Ihr Anspruch auf ElterngeldPlus wird dann um weitere vier Monate verlängert.
Eltern: Das Ganze soll bis zu 100 Millionen Euro kosten. Wer soll das bezahlen?
Manuela Schwesig: Die Kosten für das ElterngeldPlus sind in der Finanzplanung für das Elterngeld integriert.
Eltern: Und Sie glauben, dass Männer wirklich Teilzeit arbeiten werden?
Manuela Schwesig: Ich sehe, dass Väter heute nicht nur zum Gutenachtkuss zu Hause sein wollen. Sie wollen mehr Zeit für ihre Kinder und sich die Verantwortung teilen. Das tut auch der Partnerschaft gut. Ich erwarte von den Arbeitgebern, dass sie die Männer, die sich eine Auszeit für die Familie nehmen, unterstützen und nicht sagen, "das sind Weichlinge, die keine Lust haben zu arbeiten". Schon in den zwei Vätermonaten lernen sie doch mehr an Sozialkompetenz als in jedem Managerlehrgang.
Eltern: Bisher sind familienfreundliche Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen nicht unbedingt selbstverständlich. Welche Pläne haben Sie, um das zu ändern?
Manuela Schwesig: Warum ist es in Skandinavien und nicht in Deutschland möglich, dass man um 16 Uhr das Kind aus der Kita holt und dafür nicht schräg angeschaut wird? Nicht die Eltern müssen flexibler werden, sondern die Arbeitszeit familienfreundlicher. Es wäre schon ein Riesengewinn, wenn wir eine Arbeitskultur hätten, wo man sich darauf einigt, dass die wichtigen Dinge nicht erst am Abend stattfinden.
Eltern: Kommen wir zum Thema Generationengerechtigkeit. Was steht in Sachen Altersarmut, die ja überwiegend Mütter trifft, auf Ihrer Agenda?
Manuela Schwesig: Der beste Schutz gegen Altersarmut sind gute Jobs, die gut bezahlt werden. Ich erwarte nicht, dass jede Frau voll arbeitet. Aber ich möchte da auch niemandem Sand in die Augen streuen. Wer sein Leben lang in der Minijob-Falle ist, der wird später Probleme haben. Mir ist es wichtig, den Frauen zu sagen: "Setzt eure Fähigkeiten ein, damit ihr selbstständig und abgesichert seid." Deshalb finde ich auch den Mindestlohn so wichtig, denn davon werden vor allem Frauen profitieren.
Eltern: Der wird kaum reichen.
Manuela Schwesig: Er ist ein Schritt. Wir müssen dafür sorgen, dass endlich auch gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird. Wir sind ein Land, in dem es immer noch große Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Hier möchte ich ein Gesetz auf den Weg bringen, das diese Lohnlücke schließt. Zudem müssen wir Erziehungszeiten in der Rente besser anerkennen, etwa bei der Mütterrente.
Eltern: Wir sind nicht nur ein Land mit großen Lohnunterschieden, sondern auch eines mit sehr niedrigen Geburtenraten. Kita-Ausbau, Elternzeit und Elterngeld haben nicht zu mehr Kindern geführt. Woran liegt das?
Manuela Schwesig: Für mich ist Familienpolitik nicht darauf gerichtet, die Geburtenrate zu erhöhen. Ich muss mich zuerst um die Familien kümmern, die bereits Kinder haben: vor allem um gerechte Bildungschancen! Aber ich sehe natürlich auch die Schere zwischen den Paaren, die sich ihren Kinderwunsch erfüllen, und denen, die es nicht tun. Als häufigster Grund wird hier die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf genannt. Deshalb liegt der Schlüssel für mehr Kinder in einer familienfreundlichen Arbeitswelt.
Eltern: Laufen wir Gefahr, unsere Leben mehr und mehr der Arbeit und Wirtschaft unterzuordnen?
Manuela Schwesig: Diese Gefahr sehe ich. Deshalb muss die Familie vorgehen. Wir können sie nicht ständig in unseren Sonntagsreden loben, wenn sie in der Arbeitswelt an letzter Stelle kommt. Hier sind die Politik UND die Wirtschaft gefordert.
Eltern: Die Beschäftigungsverhältnisse werden immer unsicherer, Eltern immer älter - viele zögern lange, bis sie sich zu einem Kind entschließen. Gibt es einen richtigen Zeitpunkt?
Manuela Schwesig: Gerade die vielen befristeten Beschäftigungsverhältnisse sind ein großes Hindernis für den Kinderwunsch. Eltern brauchen ein Stück Sicherheit. Trotzdem finde ich es schwierig, dass es in Deutschland den Satz gibt: "Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für ein Kind." Wir sollten lieber sagen "Es ist gut, dass sich ein Kind ankündigt" und fragen, wie wir die Eltern unterstützen können, es gut großzuziehen.