Braunschweiger Zeitung: Berufstätige Mütter lassen sich viel einfallen, um Job und Familie zu vereinbaren. Wie läuft das bei Ihnen?
Manuela Schwesig: Wenn ich in Schwerin übernachte, bringe ich meinen Sohn morgens zur Schule, bevor ich nach Berlin fahre. Mittwochnachmittag hole ich ihn immer vom Hort ab. Dann schalte ich das Smartphone ab und organisiere mich vorher so, dass ich nicht noch mit einem Ohr und dem halben Kopf bei der Arbeit bin. Ich finde, dass das gehen muss. Kinder haben ein Recht darauf, die Eltern auch mal für sich zu haben - und nicht nur die Hälfte davon. Das tut uns beiden gut.
Braunschweiger Zeitung: Viele Mütter halten die Vereinbarkeit von Kind und Karriere mittlerweile für eine Lüge.
Manuela Schwesig: Es ist keine Lüge. Aber es ist eben auch nicht leicht. Der Spagat wird immer bleiben. Man leistet eben doppelt, wenn man beides will - einen guten Job und eine Familie. Aber die Familien könnten es einfacher haben. Es fehlt an flächendeckenden, guten Bildungs- und Betreuungsangeboten wie Ganztagskitas oder Ganztagsschulen. Und wenn man vielleicht einen guten Kita-Platz hat und das Kind dann in die Schule kommt, ist auf einmal um 13 Uhr Schluss.
Es fehlt aber auch an Anerkennung: Es wäre schön, wenn die Chefs sehen würden, dass Eltern, die morgens um acht Uhr ins Büro kommen, oft schon drei Stunden lang etwas geleistet haben. Die SPD will sich jetzt besonders um die "Gehetzte Generation" der 30- bis 50-Jährigen kümmern.
Braunschweiger Zeitung: Haben Sie diese Zielgruppe zu sehr vernachlässigt?
Manuela Schwesig: Nein, aber wir wollen die Generation der arbeitenden Mitte mehr in den Fokus rücken. Das ist die Generation, die unser Land trägt. Sie zahlen Steuern, sie ziehen Kinder groß, sie kümmern sich um die alten Eltern. Menschen zwischen 30 und 50 Jahren haben oft eine Dreifachbelastung. Und viele fühlen sich dadurch sehr gefordert. Sie übernehmen viele sinnvolle, gute, glücklich machende Aufgaben - aber es ballt sich.
Braunschweiger Zeitung: Was hilft der "Gehetzten Generation"? Sie werben für eine 32-Stunden-Woche mit Lohnausgleich aus Steuergeldern.
Manuela Schwesig: Das könnte ein Weg sein: Es muss doch möglich sein, dass beide Partner in der Rushhour des Lebens statt 40 Stunden nur 32 arbeiten - und zwar, ohne gleich massive Nachteile zu bekommen. In Deutschland gibt es im Moment oft nur Schwarz oder Weiß: Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter gar nicht oder nur kleine Teilzeit. Oder beide Partner arbeiten Vollzeit und haben kaum Zeit für Kinder.
Braunschweiger Zeitung: Wann kommt diese 32-Stunden-Woche?
Manuela Schwesig: Ich werde noch in dieser Wahlperiode ein Modell für die Familienarbeitszeit vorstellen. Im Moment prüfen wir die Kosten und die Details - zum Beispiel die Frage, wie lange Eltern Anspruch auf die Regelung haben sollten. Wichtig ist mir, dass wir solche Modelle nicht nur für Eltern mit kleinen Kindern planen - sondern auch für Menschen, die Angehörige pflegen wollen. Mit einem steuerlichen Zuschuss unterstützen wir dabei übrigens genau diejenigen, die das System mit ihren Abgaben überhaupt am Laufen halten.
Braunschweiger Zeitung: Unser Leser Michael Waldhelm möchte dazu wissen: Wie lassen sich solche Ideen in kleinen Betrieben umsetzen - das ist ja eine Mammutaufgabe?
Manuela Schwesig: Meine Erfahrung ist, dass gerade kleine Betriebe oft sehr nahe an der Lebenssituation ihrer Mitarbeiter sind - und deshalb häufig gute Lösungen finden. Aber klar ist auch: Große Betriebe mit über 500 Mitarbeitern können leichter Teilzeitphasen organisieren. Kleinere Betriebe sind vor allem darauf angewiesen, dass der Staat genügend Betreuungsplätze in der Umgebung finanziert - und über flexible Öffnungszeiten die Vereinbarkeit von Job und Familie erleichtert.
Braunschweiger Zeitung: Sie verhandeln im Moment mit dem Finanzminister über eine Erhöhung des Kindergelds. Spürbar soll sie sein. Heißt das: zehn Euro mindestens?
Manuela Schwesig: Für mich ist etwas anderes entscheidend: Wenn wir das Kindergeld erhöhen, sollten wir auch den Kinderzuschlag für Geringverdiener aufstocken. Den Zuschlag bekommen Eltern, die arbeiten, deren Lohn aber nicht ausreicht, um die Familie vor Hartz-IV zu bewahren. Erhöhen wir den Kinderzuschlag, führen wir diese Familien aus der Armutsfalle.
Mir ist aber auch wichtig, endlich etwas für Alleinerziehende zu tun: Der Entlastungsbetrag für alleinerziehende Eltern ist seit zehn Jahren nicht angehoben worden. Fakt ist: Die Steuereinnahmen sind aktuell höher als erwartet. Ich finde, dass jetzt auch mal die Familien an der Reihe sind.
Braunschweiger Zeitung: Wann bekommen die Familien mehr Geld?
Manuela Schwesig: Noch in diesem Jahr. Finanzminister Schäuble und ich werden bis Ende März einen Vorschlag machen.
Braunschweiger Zeitung: In Braunschweig wurde Sonntag wegen Hinweisen auf einen islamistischen Terroranschlag der Karnevalsumzug absagt. Was haben Sie gedacht, als Sie das hörten?
Manuela Schwesig: Ich war im ersten Moment wohl genauso entsetzt wie die Beteiligten in Braunschweig. Man spürte erstmals die Gefahr, wie die Terrorbedrohung unsere Freiheit einschränken kann. Klar, dass die Karnevalisten enttäuscht waren. Aber es hat mich beeindruckt, dass sie sich das Fest nicht ganz verderben ließen und stattdessen in einer Halle gefeiert haben. Denn es ist wichtig, besonnen zu reagieren und nicht in eine Hassspirale zu geraten: Es kann schnell gehen, dass in solchen Situationen ein Blitzableiter gesucht wird und die Muslime insgesamt verantwortlich gemacht werden - das wäre Wasser auf die Mühlen der radikalen Islamisten.
Braunschweiger Zeitung: Sie sind ja als Ministerin mit dem Islamismus direkt befasst - ihr Haus ist da für Prävention zuständig.
Manuela Schwesig: Richtig, mein Ministerium kümmert sich seit längerem um Vorbeugeprogramme gegen Rechtsextremismus, jetzt haben wir auch die Prävention gegen Islamismus einbezogen. Dieses Jahr stehen dafür 10 Millionen Euro bereit. Wir können aus einigen Projekten in NRW und Niedersachsen lernen. Anders als beim Rechtsextremismus stehen wir beim Islamismus aber in Sachen Prävention noch am Anfang: Wir wissen zum Beispiel noch nicht, warum sich 15-jährige Jungen und Mädchen ohne Wissen der Eltern etwa der IS-Terrormiliz anschließen. Aber ohne Prävention wird es keine Sicherheit geben.
Braunschweiger Zeitung: Was heißt das für die Region Braunschweig, die ja als ein Zentrum radikaler Islamisten gilt?
Manuela Schwesig: Wir fördern in diesem Jahr ganz konkret zwei Präventionsprojekte in der Region: Je eines der Stadt Braunschweig und des Landkreises Goslar, mit jeweils über 50 000 Euro. Wir müssen mit den jungen Muslimen selbst reden. Viele haben Diskriminierung erlebt, als Migranten oder wegen ihres Glaubens, das nutzen radikale Islamisten aus. Es geht also auch um respektvollen Umgang miteinander: Wir müssen in Schulen gehen, Jugendprojekte machen und die jungen Muslime bei ihren Erfahrungen mit Ausgrenzung abholen.
Da sind natürlich auch die muslimischen Verbände gefragt, die uns auch schon ihre Unterstützung zugesagt haben.
Braunschweiger Zeitung: Sie haben sich auch besorgt über die Lage minderjähriger Flüchtlinge geäußert. Worum geht es genau?
Manuela Schwesig: Es geht um über 8000 junge, minderjährige Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern und Verwandten nach Deutschland fliehen. Diese Jugendlichen brauchen unseren besonderen Schutz und Betreuung. Ich möchte da zwei Dinge verbessern: Erstens geht es nicht, dass die Kinder wie bisher vor allem in Großstädten wie Hamburg und München bleiben, die die steigende Zahl der Flüchtlinge nicht mehr allein bewältigen können. Ich möchte, dass auch andere Bundesländer die Jugendlichen aufnehmen.
Braunschweiger Zeitung: Und zweitens?
Manuela Schwesig: Wir müssen dafür sorgen, dass diese Jugendlichen eine Perspektive bekommen: Sie sollen nicht nur ihren Schulabschluss machen können, sondern auch eine Lehre absolvieren dürfen und damit einen Aufenthaltstitel mindestens für die Dauer ihrer Ausbildung bekommen. Darauf drängt auch die Wirtschaft - welcher Unternehmer bildet jemanden aus, von dem er nicht weiß, ob er in drei Monaten noch hier ist? Ich bin mit dem Innenminister über diese Punkte im Gespräch und hoffe, dass wir uns schnell einigen können.
Braunschweiger Zeitung: Frauen verdienen in Deutschland durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer. Rechnet man Faktoren wie Teilzeit und typische Frauenbranchen heraus, bleibt immer noch ein Unterschied von rund acht Prozent. Sie haben für dieses Jahr ein Gesetz zur Lohntransparenz angekündigt - kommt das noch? Oder schieben sie das Thema Löhne mit Rücksicht auf die Wirtschaft nach hinten?
Manuela Schwesig: Ich habe nicht vor, irgendetwas hinauszuschieben. Der Entwurf kommt. Drei Viertel der Frauen in Deutschland fühlen sich in der Arbeitswelt benachteiligt. Wir müssen Lohnungleichheit sichtbar machen. Lohngerechtigkeit ist keine Belastung für die Wirtschaft. Im Gegenteil: Kein Arbeitgeber kann wollen, dass Frauen bei ihm offensichtlich schlechter bezahlt werden als Männer.
Braunschweiger Zeitung: Viele Unternehmen winken ab - bitte nicht noch mehr Bürokratie!
Manuela Schwesig: Wir wollen das Gesetz praxistauglich gestalten. Deshalb habe ich in dieser Woche einen Dialog mit den Gewerkschaften gestartet und spreche in der nächsten Woche mit den Arbeitgebern. Bei den Regelungen werden wir auf die Größe von Unternehmen Rücksicht nehmen. Für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern bedeutet es wenig Aufwand, in ihrem Lagebericht, den sie ohnehin machen müssen, auch eine Aussage über die Lohnverhältnisse bei Frauen und Männern zu machen.
Braunschweiger Zeitung: Wird irgendwo im Land eine Frau mehr Geld bekommen, weil Sie dieses Gesetz machen?
Manuela Schwesig: Das Gesetz, das wir planen, kann natürlich nicht beschließen, dass Frauen mehr Geld bekommen - aber es wird genau das zur Folge haben: Weil wir die ungerechten Gehaltsstrukturen zum Thema machen.