Ursula von der Leyen im Gespräch mit dem SPIEGEL

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen spricht mit dem SPIEGEL über Entgeltgleichheit und Gleichstellung.

SPIEGEL: Frau von der Leyen, wir möchten mit Ihnen über Frauen und über Jobs sprechen. Sie haben Ihren ja noch.

Ursula von der Leyen: Mindestens bis zum 27. September, haargenau.

SPIEGEL: Für den Rest der Republik könnte es bald schwierig werden. Man sagt, in der Krise verlören die Frauen als Erste ihren Arbeitsplatz.

Ursula von der Leyen: Das höre ich oft, aber das ist Unsinn. Der Arbeitsmarkt wird nicht nur für Frauen schlechter werden. Er wird, wenn schon, dann für alle schlechter werden. Sorry, liebe Männer, aber die Wirtschaft kann nicht auf die topausgebildete Hälfte der Bevölkerung verzichten.

SPIEGEL: Deutsche Arbeitgeber zahlen Frauen im Schnitt 23 Prozent weniger Gehalt als Männern. Das ist im europäischen Vergleich ziemlich mies. Warum sollten diese Chefs in der Krise gerechter werden?

Ursula von der Leyen: Weil die Chefs auch in der Krise wissen, dass es auf die Qualifikation ankommt und nicht auf das Geschlecht. Das ist der Vorteil der Frauen. Die sind heute schon in Schule und Studium vorn.

SPIEGEL: Welche Fehler machen Frauen im Beruf?

Ursula von der Leyen: Ich kann Ihnen nur sagen, woran ich als Allererstes gearbeitet habe: an meiner Stimme. Die wird nämlich gern mal schrill, wenn ich mich aufrege. Ich senke jetzt oft meine Tonlage, werde am Anfang eines Gesprächs sogar ein bisschen leiser, weil dann alle hinhören müssen. Denn glauben Sie mir, mit Brüllen kommt man nicht weiter. Am Ende haben Männer immer das lautere Organ. Es gab schon Telefonate, auch auf Ministerebene, in denen Kollegen versucht haben, mich in Grund und Boden zu schreien.

SPIEGEL: Herr Steinbrück?

Ursula von der Leyen: Ich nenne keine Namen, aber männlich waren sie. Da denkt man sich "Hallo, wo sind wir denn hier?" und muss das Telefon erst einmal einen halben Meter vom Ohr weghalten. Ich bin mit fünf Brüdern aufgewachsen, so etwas imponiert mir nicht.

SPIEGEL: Haben Sie schon mal im Ministerium herumgebrüllt?

Ursula von der Leyen: Nein. Das letzte Mal, dass ich im Beruf ausgerastet bin, ist mehr als 20 Jahre her, als ich als Ärztin mit einer Schwester aneinandergeriet. Aber Schreierei ist immer ein Zeichen von Schwäche.

SPIEGEL: Der SPIEGEL hat 2007 die sogenannten Alphamädchen beschrieben, junge Frauen, perfekt ausgebildet, extrem motiviert, aber noch sind nur wenige oben angekommen. Warum ist das so?

Ursula von der Leyen: Die Probleme fangen an, wenn das erste Kind kommt. Der Lohnunterschied zwischen Frauen ohne Kinder und mit Kindern ist größer als der zwischen Frauen und Männern. Wir haben in Deutschland so viele Frauen in Führungspositionen wie im europäischen Durchschnitt. Das ist nicht berühmt, aber es ist so. Doch wir sind Schlusslicht bei Frauen, die Chefs sind und Kinder haben, die jünger als fünf Jahre alt sind.

SPIEGEL: Frauen bekommen aber oft schon beim Berufseinstieg weniger Geld, auch ganz ohne Kinder.

Ursula von der Leyen: Das stimmt, bei den 25- bis 29-Jährigen klafft eine Lücke von 8,5 Prozent zu ihren männlichen Kollegen. Wenn man sich aber die 50- bis 59-Jährigen anschaut, dann liegt die Lücke bei 29,1 Prozent.

SPIEGEL: Heißt das, man braucht sich am Anfang nicht zu beschweren, es wird ja noch schlimmer?

Ursula von der Leyen: Nein, es ist ungerecht, und da muss etwas getan werden. Aber es reicht nicht, in Larmoyanz auszubrechen. Man muss gucken, wo die Ursachen für das Problem liegen. Und am Ende kommt eben immer sehr deutlich heraus, dass die Frage ist: Wer kümmert sich um die Kinder und tritt im Beruf kürzer?

SPIEGEL: Olaf Scholz fordert einen einfacheren Klageweg für Frauen, die sich schlechter bezahlt fühlen, Franz Müntefering will 40 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten. Lassen Sie sich beim Thema Gleichstellung gerade von zwei SPD-Männern überholen?

Ursula von der Leyen: Jetzt haben sie also die Frauen entdeckt! Ich finde es sehr amüsant, dass diejenigen, die in den vergangenen zehn Jahren mit in der Regierung waren, zum Ende der Legislaturperiode mit so tollen Ideen kommen.

SPIEGEL: Scholz möchte, dass Firmen beweisen müssen, dass sie nicht diskriminieren.

Ursula von der Leyen: Olaf Scholz fordert etwas, was nicht notwendig ist. Wir haben ein Antidiskriminierungsgesetz. Und ich kann mich dunkel entsinnen, dass unter einer rot-grünen Regierung das Thema Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft in den Sand gesetzt wurde. Wenn wir gerechte Löhne wollen, dann brauchen wir Auszeiten für Väter so selbstverständlich wie für Mütter, Kinderbetreuung und Ganztagsschulen.

SPIEGEL: Sie haben den Anstieg der Geburtenzahlen immer als Erfolg Ihrer Politik gefeiert. Und vor kurzem noch verkündet, dass auch 2008 mehr Kinder geboren worden wären. Das stimmt nicht.

Ursula von der Leyen: Nun bleiben wir einmal bei den Fakten. 2007 ist die Geburtenzahl gestiegen.

SPIEGEL: Um 2008 wieder zu sinken.

Ursula von der Leyen: Nein, vom höheren Niveau 2007 ist sie 2008 weiter bis September gestiegen, und danach hat es einen Einbruch gegeben. Warten wir erst einmal die Zahlen für das ganze Jahr ab. Wichtig ist doch, dass das Thema Kinder positiver diskutiert wird, als es vor drei Jahren der Fall gewesen ist.

SPIEGEL: Deshalb treten Sie bei jeder guten Nachricht gleich vor die Kameras?

Ursula von der Leyen: Selbstverständlich. Weil das zeigt: Dieses Land hat Hoffnung! Die vergangenen 30 Jahre hieß es für die Familienpolitik doch: Vergiss es, Deutschland ist ein Land der Egoisten und Hedonisten.

SPIEGEL: Stoßen Sie beim Thema Kinderkriegen an die Grenzen von Politik?

Ursula von der Leyen: Natürlich, Politik allein kann die Gesellschaft nicht ändern. Aber sie kann sich auch nicht aus der Verantwortung stehlen, indem sie darauf beharrt, dass Kinderkriegen ausschließlich eine Frage der Liebe zwischen zwei Menschen sei. Wie oft habe ich in den Männerrunden schon als Ministerin in Niedersachsen gehört: "Die Politik kann da gar nichts machen. Wir haben unsere Kinder auch ohne Kindergarten bekommen." Das ist heute kein Argument mehr. Die Menschen handeln nicht irrational, sondern wollen wissen, wie das Leben mit Kind weitergeht.

SPIEGEL: Sie sagen oft, die Franzosen und die Schweden machten es richtig. Beide Länder erleben gerade eine Gegenbewegung. In Frankreich fragt sich eine erschöpfte Müttergeneration, wie sie von der Vollzeitarbeit wegkommt.

Ursula von der Leyen: Dort hat man immer alles auf die Frauen abgeladen. Beruf und Kind. Der französische Vater ist quasi nicht existent. Die Franzosen fragen uns inzwischen nach unseren Erfahrungen, vor allem mit den Vätermonaten.

SPIEGEL: In Schweden, dem Stammland der Gleichberechtigung, hat jetzt ein Buch namens "Bitterfotze" große Diskussionen ausgelöst. Die Autorin beschreibt, wie sie und ihr Mann an ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit in Beruf und Familie scheitern.

Ursula von der Leyen: Ich war gerade in Schweden. Die haben da schon vor Jahren Wahlmöglichkeiten geschaffen, haben eine höhere Müttererwerbsquote, eine höhere Geburtenrate und geringere Kinderarmut. 78 Prozent der unter Dreijährigen gehen in die Kita. Da ist es doch wunderbar, wenn man gemeinsam darüber nachdenkt, wie sich Zeit für die Familie schaffen lässt. Ich erinnere mich, dass mir an dem Tag, als ich Schweden besucht habe, der Bildungsminister um 16 Uhr sagte, er würde gehen und sein Kind aus der Kita abholen. Da kann ich nur sagen: Chapeau!

SPIEGEL: Kann es die CDU denn noch ertragen, dass Sie so kurz vor dem Wahlkampf derartige Sätze sagen?

Ursula von der Leyen: Ja, gerade jetzt! Was heißt es denn, Vater oder Mutter zu sein? Es heißt, Verantwortung zu übernehmen, es bedeutet Nachhaltigkeit und Werte. Das sind alles klassische Unionsbegriffe.

SPIEGEL: Vor allem die Konservativen in der Union stören sich noch immer an Ihrem Familienbild und fürchten um ihre Stammwähler. Sind Sie wirklich im Herzen der CDU angekommen?

Ursula von der Leyen: Ach, ankommen. Welcher Politiker wird schon von seiner ganzen Partei geliebt? Ich glaube, über zu viel Konsenshuberei verliert man sein Profil. Ich habe gern ein paar Ecken und Kanten. Stammwähler tragen eine Partei, das stimmt. Aber schon innerhalb von fünf Jahren kann es ganz neue Interessenlagen in der Gesellschaft geben. Und die Erstwähler, die 18-Jährigen, wechseln jedes Jahr. Das heißt nicht, dass man alles über den Haufen werfen muss, aber das Ziel ist, wertkonservativ zu bleiben, nicht strukturkonservativ. Das ist für mich ein wichtiger Unterschied.

SPIEGEL: Es heißt, Sie hätten mittlerweile das Interesse an der Familienpolitik verloren.

Ursula von der Leyen: Was ist das denn für ein dummes Gerücht?

SPIEGEL: Wir hören, dass Sie sich im Kabinett immer zu Wort melden, wenn Ulla Schmidt redet, und dann auch etwas zur Gesundheitspolitik sagen.

Ursula von der Leyen: Was ich schon in den letzten Jahren gemacht habe.

SPIEGEL: Es wirkt aber jetzt so, als wollten Sie sich um das Amt der Gesundheitsministerin bewerben.

Ursula von der Leyen: Ich bin leidenschaftlich gern Familienministerin! Jetzt wird erst einmal die Wahl gewonnen, danach wird die Kanzlerin das nächste Kabinett berufen, und dann schauen wir einmal.

Das Interview ist am 6. April 2009 im SPIEGEL erschienen. Die Fragen stellte Kerstin Kullmann.