Ursula von der Leyen spricht im Tagesspiegel über neue Väter und Emanzipation.
Tagesspiegel: Frau Ministerin von der Leyen, was ist für Sie ein toller Mann?
Ursula von der Leyen: Ein vollständiger Mann muss fähig sein, Verantwortung für andere zu übernehmen. Er muss fürsorglich sein. Er sollte sich nicht nur einsetzen können für das wirtschaftliche Wohl einer Familie, sondern auch für das seelische Wohl der Kinder oder auch seiner in die Jahre gekommenen Eltern.
Tagesspiegel: Ohne Anhang ist der Mann unvollständig?
Ursula von der Leyen: Für mich ist ein Mann oder auch eine Frau, jeder Mensch grundsätzlich ein Teil von Familie. Jeder hat Familie, denn jeder Mensch hat Eltern. Da geht es um das Prinzip Verantwortung. Wenn es gut läuft, übernehmen die Kinder später Verantwortung für ihre älter werdenden Eltern.
Tagesspiegel: Wir haben nach Ihrer Vorstellung von einem tollen Mann gefragt, Sie sprechen vom "vollständigen" Mann. Gibt es da womöglich größere Unterschiede?
Ursula von der Leyen: (Lacht) Ich kann mir tolle Männer vorstellen, die Klasse aussehen. Manche Frauen schätzen Bizeps...
Tagesspiegel: ...aber am Ende zählen nur die inneren Werte?
Ursula von der Leyen: Es kommt wahrscheinlich auf die Lebensphase an. Als junge Frau habe ich auch eher auf das Aussehen geachtet oder ob "er" zuhören kann. Später sind die inneren Qualitäten entscheidender. Die prägen den gemeinsamen Weg.
Tagesspiegel: Hätte Ihr Vater, der frühere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, zu seiner Zeit als Familienvater den Erwartungen der Bundesfamilienministerin an einen vollständigen Mann entsprochen?
Ursula von der Leyen: Ja. Mein Vater war ausgesprochen präsent, wenn er zu Hause war. Allerdings war das nicht so häufig der Fall. Aber wenn er da war, hat er sich ganz auf uns eingelassen. Auch wenn er arbeitete, zum Beispiel Akten las, saß er immer mitten unter uns in der Diele, denn er hatte im Haus bewusst kein eigenes Arbeitszimmer.
Tagesspiegel: Glauben Sie, Ihr Vater hätte Spitzenpolitiker werden können, wenn Ihre Mutter nicht zu Hause geblieben wäre?
Ursula von der Leyen: Damals wahrscheinlich nicht. Es gab keinen Kindergarten, keine festen Schulzeiten, Frauen mit Kindern im Beruf galten als Rabenmütter. Aber mein Vater, der mit meiner Mutter bis zu ihrem Tod sehr traditionell und sehr glücklich gelebt hat, hat schon früh vorausgesehen, dass sich die Zeiten ändern würden.
Als meine Brüder und ich uns Partnerinnen und Partner suchten und heirateten, sagte er meinen Brüdern: Nehmt euch Zeit für eure Kinder, und eure Frauen werden in Zukunft erwerbstätig sein, das wird euren Ehen gut tun.
Tagesspiegel: Frau Minister, können Sie eigentlich verstehen, dass manche Menschen das Ende der traditionellen Familie nicht als Bereicherung, sondern als Verlust empfinden?
Ursula von der Leyen: Ich kann die Ängste gut verstehen, dass die häuslichen Anteile von Familie und Ehe schwinden. Dass in Zukunft für Familien Institutionen wie Kindergärten und Ganztagschulen oder Erwerbstätigkeit beider Eltern selbstverständlich sind.
Tagesspiegel: Sind diese Sorgen völlig unberechtigt?
Ursula von der Leyen: Diese Sorgen werden unberechtigt, wenn wir Kinderbedürfnisse immer mitdenken - ohne Ausnahme bei Männern wie Frauen, in Wirtschaft wie Wissenschaft. Wir müssen uns vor allem eines vergegenwärtigen: Wir werden in Zukunft nur Kinder haben, wenn wir Männern und Frauen sowohl Zeit für innovative Arbeit als auch Zeit für Kinder ermöglichen. Die Bereitschaft, Verantwortung für Kinder zu übernehmen, wird verschwinden, wenn wir an den Strukturen der 60er und 70er Jahre festhalten. Wir sehen heute schon: Nur in Gesellschaften, die die Verteilung von Arbeit und Zeit für Familien konsequenter für Männer und Frauen geöffnet haben, werden wieder mehr Kinder geboren.
Tagesspiegel: Was muss Deutschland von anderen Ländern lernen?
Ursula von der Leyen: Grundsätzlich muss in der Familienpolitik gelten: Weniger Ideologie, mehr Pragmatismus. Der Streit um die Ganztagsschule sollte uns eine Lehre sein. Jahrzehntelang wurde sie bei uns als Bedrohung für die Familie verunglimpft, weil die Kinder angeblich nicht mehr daheim seien. Fast alle anderen Länder auf der Welt, mit denen wir uns vergleichen, haben aber seit Jahrzehnten bereits Erfahrung damit.
In Wirklichkeit verschafft die Ganztagsschule den Familien mehr verfügbare gemeinsame Zeit, weil sie allen Kindern zuverlässig Zeit für Bildung, den Eltern Zeit für ihre Arbeit gibt. Dann muss nachmittags und abends nicht mehr Nachhilfe, Hausaufgaben, Sport, Musik und Sprachen von den Eltern allein organisiert werden. Dann ist freie gemeinsame Zeit.
Tagesspiegel: Sie vermitteln den Eindruck, es sei nur eine Frage von guter Organisation und gutem Willen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Warum sagen Sie jungen Paaren nicht, dass das auch seinen Preis hat und Doppelverdiener-Familien unter einem hohen Druck stehen?
Ursula von der Leyen: Sie sollten nicht so lax daherreden. Dies Land hat über Jahrzehnte den Frauen signalisiert, wenn ihr Kinder kriegt, habt ihr keine Chance mehr in eurem Beruf - wir bezahlen das mit dem hohen Preis der Kinderlosigkeit. Es ist Ziel meiner Politik, dass die Familien nicht alleine die Last der Vereinbarkeit von Familie und Beruf tragen müssen. Es ist die Pflicht der gesamten Gesellschaft, die ja in hohem Maße auf die Kinder der nächsten Generation angewiesen ist, sich gemeinsam dafür einzusetzen, dass ein Leben mit Kindern auch in einer modernen Arbeitswelt möglich ist.
Wir haben inzwischen zum Beispiel durch das Familienministerium an 500 Orten lokale Bündnisse für Familien angeregt. Eltern, Vertreter aus der Gemeinde, die lokale Wirtschaft setzen sich zusammen mit dem Ziel, die Hürden für die Familien vor Ort ganz konkret und pragmatisch abzubauen. Sie kümmern sich in ihrer Region etwa darum, dass das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs genau auf die Bedürfnisse von Familien abgestimmt und getaktet ist mit den Arbeitszeiten großer Arbeitgeber und der Kindergärten. Da muss der Vater dann nicht eine Dreiviertelstunde auf den Bus warten wenn er nach der Arbeit das Kind abgeholt hat.
Tagesspiegel: Frau von der Leyen, sind Sie stolz, dass sich das Rollenbild des Mannes in Ihren zweieinhalb Amtsjahren verändert hat?
Ursula von der Leyen: Ich glaube nicht, dass ich da so wichtig bin.
Tagesspiegel: Jetzt kokettieren Sie. Mit dem Elterngeld und den Vätermonaten wollten Sie einiges bewegen im Geschlechterverhältnis, und das ist Ihnen doch auch gelungen, oder?
Ursula von der Leyen: Ich habe das Gefühl, dass die Einführung der Partnermonate im Elterngeld eine Tür geöffnet hat für ein Bedürfnis, das längst da war. Bisher stießen Männer beim Arbeitgeber oft auf taube Ohren, wenn sie nach der Geburt eines Kindes eine Zeit lang zu Hause bleiben wollten. Wenn Sie dies jetzt mit ihren Vätermonaten im Elterngeld bei Bezügen von 67 Prozent ihres Nettogehaltes tun, wird das vom Arbeitgeber offenbar eher akzeptiert. Da heißt es jetzt nicht mehr: Das kann doch Ihre Frau machen.
Tagesspiegel: Aus Teilen der Union wurde ihnen vorgeworfen, Sie wollten die Männer zum "Wickelvolontariat" verdonnern. Bekommen Sie solche Vorhaltungen noch zu hören?
Ursula von der Leyen: Nein. Da hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren viel getan an der Basis. Auch viele Unionsvertreter sagen mir: Wir haben endlich die lebensnahen Antworten auf die Fragen, die die Menschen uns stellen. Das Thema Familie ist eine Kernkompetenz der Union geworden, weil wir uns inzwischen um jene Hürden kümmern, die jungen Familien im Alltag Probleme bereiten.
Tagesspiegel: Die SPD behauptet, Ihre Politik beruhe zum großen Teil auf sozialdemokratischen Konzepten und Vorschlägen.
Ursula von der Leyen: Das ist Unsinn. Ich habe in der Union 2005 bereits den Gedanken des Elterngeldes eingeführt. Es ist nicht mein Problem, dass Gerhard Schröder im gleichen Jahr das Handtuch geworfen hat. Ich sage nur: Ich habe die Dinge umgesetzt, die längst überfällig waren.
Tagesspiegel: Vielen Familien machen hohe Benzinpreise und teure Lebensmittel schwer zu schaffen. Wie hilft Ihr Ministerium?
Ursula von der Leyen: Wer Kinder erzieht, ist von steigenden Lebenshaltungskosten besonders betroffen. Es sind halt viele am Tisch. Dafür ist das Kindergeld der Ausgleich. Es wird den kleinen und mittleren Einkommen gezahlt. Wer arbeitslos ist, bekommt das höhere Sozialgeld für Kinder, und die hohen Einkommen bekommen den Freibetrag für Kinder in der Steuer.
Im Herbst wird der Existenzminimumbericht vorgelegt, der dann sicher verlangt, den Freibetrag für die hohen Einkommen anzuheben. Ich kämpfe dafür, dass dann auch das Kindergeld erhöht wird. Es hilft Kindern und Eltern, die kleine Einkommen haben und fleißig arbeiten. Sie profitieren weder von den hohen Freibeträgen noch vom höheren Sozialgeld bei Hartz IV.
Tagesspiegel: Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hält zehn Euro Kindergeld mehr für hinausgeschmissenes Geld, das für Zigaretten, Alkohol oder Playstations ausgegeben werde.
Ursula von der Leyen: Zehn Euro im Monat mehr sind 120 Euro im Jahr für eine Familie, die alleine ihr Einkommen erwirtschaftet. Das heißt zum Beispiel, die Schulausstattung im nächsten Schuljahr ist gesichert. Es bringt gar nichts, das Kindergeld schlecht zu reden und mit Füßen zu treten. Die deutsche Krankheit, gezielte finanzielle Hilfen auszuspielen gegen Infrastrukturangebote, hat uns in den vergangenen Jahren gelähmt. Wir brauchen die Kindergelderhöhung ebenso wie gute Kindergärten. Eine Gesellschaft, die Kindern einen guten Start geben will, bekommt das nicht zum Nulltarif.
Tagesspiegel: Rechnen Sie damit, dass die SPD Steinbrück in den Rücken fallen wird?
Ursula von der Leyen: Ich bin mir sicher, dass die SPD nach der Vorlage des Existenzminimumberichts der Erhöhung des Kindergeldes zustimmt. Wir haben gesehen, dass sich die Vernünftigen in der SPD langsam, aber sicher durchgesetzt haben. Die Sozialdemokraten haben schon im Februar ihre Blockade jeglicher Kindergelderhöhung aufgegeben.
Tagesspiegel: Ihre Kanzlerin hat jetzt die Bildungsrepublik ausgerufen. Welchen Beitrag wird Ihr Haus leisten?
Ursula von der Leyen: Mich begeistert dieser Prozess. Es ist die Frage, ob wir diese historische Gelegenheit ergreifen, Bildung zu dem großen gemeinsamen Thema in diesem Land zu machen. Ich sehe meine Aufgabe vor allem bei dem Thema Qualifizierung und Weiterbildung von Tagesmüttern und das Thema Elternbildung, da hat unser Ministerium eine Kernkompetenz.
Tagesspiegel: Wie beim Ausbau der Krippen hat der Bund beim Thema Bildung wenig bis keine Kompetenzen. Kann Ihr Krippengipfel, bei dem Sie Bund, Länder und Kommunen zusammenbrachten, ein Vorbild sein?
Ursula von der Leyen: Das denke ich schon, es geht um gemeinsame Ziele. Der Ausbau der Krippen und Tagesmütternetze hat vorbildlich gezeigt, dass man Lösungen finden kann, von denen vorher kaum jemand zu träumen wagte. Das wünsche ich mir auch beim Thema Bildung.
Tagesspiegel: Viele Ministerpräsidenten sind gar nicht angetan. Sie pochen auf die eigene Zuständigkeit für Bildung nach dem Grundgesetz und der Föderalismusreform und sagen: Mischt euch da mal ja nicht ein.
Ursula von der Leyen: Ja, die Länder sind zuständig. Wer hier blockiert, tut dem Land keinen Gefallen. Lasst uns doch uns begeistern für dieses nationale Thema! Beim Thema Schutz von Kindern vor Verwahrlosung und Misshandlung haben wir uns doch auch über alle Zuständigkeitsgräben und starre Grenzen hinweg zusammengetan und schnell gehandelt.
Da hat doch auch keiner gesagt, was nicht geht. Sondern wir haben uns gemeinsam gefragt, was ist der beste Weg, wie können wir den Schutz der Kinder gemeinsam verbessern. Jeder an seinem Platz! Warum soll das bei der Bildung nicht möglich sein? Es geht um den seidenen Faden, an dem der Wohlstand dieses Landes hängt. Und den haben wir noch nicht sehr stark gesponnen.
Tagesspiegel: Frau von der Leyen, wir haben jetzt viel von Ihren Erwartungen gesprochen - an die Länder, an die SPD, an die Wirtschaft und an die Männer. Deshalb zum Schluss die Frage: Was erwarten sie von den Frauen?
Ursula von der Leyen: Dass sie sich bewahren, was sie besonders auszeichnet: Ihr Durchhaltevermögen, ihre Fürsorglichkeit gegenüber der Familie und ihre Verantwortungsbereitschaft für diese Gesellschaft.
Das Interview ist am 13.7.2008 im Tagesspiegel (Berlin) erschienen. Die Fragen stellten Stephan Haselberger und Hans Monath.