Ursula von der Leyen spricht im Interview mit dem Münchner Merkur über das Elterngeld, den Ausbau der Kinderbetreuung und Werte in der Familie.
Münchner Merkur: Frau Ministerin, manche Parteifreunde bezeichnen Sie als Nervensäge, andere als Lichtgestalt. Wer hat recht?
Ursula von der Leyen: Meistens liegt die Wahrheit in der Mitte. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, in der Politik eine Bresche für die Familien zu schlagen. Und ich stehe dafür, beharrlich meine Ziele zu verfolgen.
Münchner Merkur: Sie haben das traditionalistische Familienbild der Union über Bord geworfen und innerhalb von nur zwei Jahren den Ausbau der Kinderkrippen durchgesetzt. Verstehen Sie, dass sich Konservative überrumpelt fühlen?
Ursula von der Leyen: Mir ist wichtig, dass wir die traditionellen Werte von Familie auch in einer modernen Welt erhalten. In den vergangenen Jahrzehnten begannen sich die festen Familienstrukturen aufzulösen. Ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn zeigt: Heute sind dort wieder mehr junge Männer und Frauen bereit, sich für Kinder und ältere Angehörige einzusetzen, sofern sie Familie und Beruf vereinbaren können. Genau darauf richte ich meine Politik aus.
Münchner Merkur: Eine Frau in Deutschland bekommt laut Statistik 1,33 Kinder. Trotz Elterngeld und zusätzlichen Steuervorteilen ist die Geburtenrate 2006 erneut gesunken. Hat die Familienpolitik ihr Ziel verfehlt?
Ursula von der Leyen: Im Jahr 2006 gab es das Elterngeld noch gar nicht, es begann gerade erst die Diskussion darüber. Doch im ersten Quartal 2007 ist die Geburtenrate erstmals seit 30 Jahren nicht weiter gesunken, sondern sogar minimal gestiegen. Das ist hoffentlich der Beginn einer Trendwende...
Münchner Merkur: ...oder auch nur das Ergebnis eines Sommermärchens.
Ursula von der Leyen: Was der Familienpolitik in Deutschland lange gefehlt hat, war ein breiter gesellschaftlicher Konsens. In der Vergangenheit gab es zwei Lager, die stark polarisierten. Für die Familien ist dabei ein Bruch entstanden: Entweder Kinderwünsche zu begraben oder Karrierewünsche zu begraben war die Konsequenz. Wir haben das mit dem hohen Preis der Kinderlosigkeit bezahlt. Wir steuern jetzt um, indem wir Familien im Alltag mit Kindern unterstützen, ohne ihnen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Junge Menschen haben mehr Mut, sich für Familie zu entscheiden, wenn sie wissen, die breite Gesellschaft und die Politik stehen hinter ihnen.
Münchner Merkur: Polarisiert wird heute noch immer: Berufstätige Frauen sehen sich als "Rabenmütter" diffamiert, Hausfrauen als "Heimchen am Herd".
Ursula von der Leyen: Aber wir erleben doch einen faszinierenden gesellschaftlichen Wandel. Im Februar hatte ich die Absicht geäußert, für 35 Prozent der unter Dreijährigen ein Kindergarten- oder Tagesmutter-Angebot zu schaffen, damit Bildung und Spiel mit anderen Kindern für sie möglich ist und Eltern eine Wahl haben, Kindererziehung und Beruf zu kombinieren. Das unterstützt die breite Mehrheit der Bevölkerung, es entspricht dem EU-Durchschnitt und hat in Deutschland eine gewaltige Diskussion ausgelöst. Innerhalb kurzer Zeit haben der Bund, die Länder, die großen Parteien und die Kommunen den Ausbau der Kinderbetreuung zur gemeinsamen Aufgabe erklärt. Bei allem Streit um die Details: Im Ziel sind sich jetzt alle einig.
Münchner Merkur: Es gibt noch genug Zündstoff: Die CSU will dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz nur zustimmen, wenn er bereits jetzt an ein Betreuungsgeld für Eltern gekoppelt wird, die ihre Kinder zu Hause erziehen.
Ursula von der Leyen: Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass sie weiter ihrem Beruf nachgehen können, wenn sie Kinder bekommen. Gleichzeitig müssen sich Eltern aber auch darauf verlassen können, dass es der Staat anerkennt, wenn sie ihre Kinder zu Hause erziehen. Die Entscheidung liegt bei den Eltern - und die Politik darf die Eltern nicht spalten. Die Bundeskanzlerin hat es sehr deutlich gesagt: Zuerst müssen wir die Kinderbetreuung ausbauen. Erst wenn wir das bis 2013 geschafft haben, können der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz und ein Betreuungsgeld folgen.
Münchner Merkur: Im Klartext: Es wird bis zur Wahl 2009 keine verbindliche Entscheidung über ein Betreuungsgeld geben.
Ursula von der Leyen: Das hat auch niemand verlangt. Im Koalitionsausschuss gab es die klare Absprache, dass der Rechtsanspruch ebenso wie das Betreuungsgeld erst 2013 eingeführt wird.
Münchner Merkur: Sie warnen davor, ein Betreuungsgeld von 150 Euro im Monat verstärke den Teufelskreis in sozial schwachen Familien.
Ursula von der Leyen: Wir müssen verhindern, dass ein Betreuungsgeld Kindern mit Migrationshintergrund die Tür zum Kindergarten versperrt. Ich teile die Ansicht meines CSU-Kollegen Peter Ramsauer, dass gerade diese Kinder auf Integration angewiesen sind. Sie brauchen den Zugang zu anderen Kindern, allein schon, um unsere Sprache erlernen zu können.
Münchner Merkur: Und darum wollen Sie den Eltern lieber Gutscheine in die Hand drücken als Geld?
Ursula von der Leyen: Wie gesagt - diese Frage steht gegenwärtig nicht auf der Agenda. Einen Gutschein könnten Eltern für die Kinderbetreuung ebenso einlösen wie für Musikschulen oder andere Bildungsangebote. Damit wäre sichergestellt, dass das Geld des Staates zum Wohl der Kinder in pädagogische Konzepte investiert wird. Das ist meine Position, findet aber zur Zeit keine politische Mehrheit.
Münchner Merkur: Sie sind Mutter von sieben Kindern und nebenbei verantwortlich für eines der wichtigsten Ressorts der Regierung. Wie viel Zeit haben Sie für die Familie?
Ursula von der Leyen: Ich nehme mir die Zeit. In meinem Ministerium stehen Familien, Kinder und ältere Angehörige im Mittelpunkt. Es gibt Räume für Tagesmütter, damit Kinder bei ihren Müttern und Vätern betreut werden können, die hier arbeiten. Viele Mitarbeiter nutzen auch flexible Arbeitszeitmodelle oder arbeiten mit Hilfe des Internet von zu Hause aus. Entscheidend ist das Ergebnis der Arbeit, nicht die Präsenz im Büro.
Münchner Merkur: Klagen Ihre Kinder manchmal, dass sie ihre Mutter öfter in der "Tagesschau" sehen als zu Hause?
Ursula von der Leyen: Erstens sehen meine Kinder keine Nachrichten und zweitens versuche ich wann immer es geht, abends zu Hause zu sein. Im letzten Jahr bin ich 30 000 Kilometer mit der Bahn gefahren, meist zwischen dem Büro in Berlin und meinem Wohnort Hannover. Für meinen Mann und mich ist es wie für alle erwerbstätigen Eltern wichtig zu sehen, dass unsere Kinder gut ins Leben hinausgehen. Solange das sichergestellt ist, stimmt die Balance.
Münchner Merkur: Können Sie es nachvollziehen, wenn eine bekannte Fernsehmoderatorin "die Wertschätzung der Mutter" im Dritten Reich lobt?
Ursula von der Leyen: Nein. Die Nationalsozialisten hatten eine zutiefst menschenverachtende Haltung gegenüber Frauen. Söhne sollten geboren werden für die Front, schwangere Frauen mussten ihre Arbeitsplätze räumen für Männer, mit Juden verheiratete Frauen wurden gezwungen, sich von ihren Ehemännern zu trennen. Das sind nur drei Beispiele für die unendliche Verachtung und Unterdrückung der Frauen im Dritten Reich.
Münchner Merkur: Haben Sie den Eindruck, die Leistung von Müttern wird in der heutigen Gesellschaft zu wenig geschätzt?
Ursula von der Leyen: Wir erkennen viel zu wenig an, was viele Mütter und Väter für ihre Kinder schaffen. Das ist ein hohes Gut. Mich schmerzt, wenn ich sehe, wie weit in unserer Gesellschaft die Sonntagsreden und das tatsächliche Handeln auseinanderklaffen. In der Diskussion über die Vatermonate beim Elterngeld hat sich gezeigt, wie sehr manche Kreise die Kindererziehung verachten. Dies scheint sich jetzt zu ändern. Ich freue mich, wie viele junge Väter jetzt gleich nach der Geburt ihres Kindes ihre Vaterzeit nehmen. Dieser Trend ist ermutigend.
Das Interview ist am 14.9.2007 im Münchner Merkur erschienen. Die Fragen stellte Holger Eichele.