Schekker: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Berufung in das neue Kabinett! Sind Sie schon nach Berlin umgezogen?
Ursula von der Leyen: Ich habe noch gar keine Pläne machen können, weil so viele andere Sachen im Vordergrund standen. Ich werde mich wohl nach einer Möglichkeit umschauen, irgendwo ein Zimmerchen zu mieten. Aber das Wichtigste ist jetzt, den Arbeitsalltag in Berlin kennen zu lernen.
Schekker: Also bleibt Ihre Familie in Niedersachsen?
Ursula von der Leyen: Erst einmal ja. Wir überlegen noch, was das Beste ist. Falls ich oft im Bundesgebiet unterwegs sein sollte, dann ist meine Familie besser in Hannover aufgehoben, weil sie dort verwurzelt ist. Falls ich doch viel in Berlin sein werde, müssten wir aber einen Umzug in Betracht ziehen.
Schekker: Sie haben eine große Familie mit sieben Kindern. Wie schaffen Sie es da, Beruf und Familie zu vereinen?
Ursula von der Leyen: Ich kenne die Sorgen und Nöte, die man hat, wenn man Beruf und Familie vereinbaren will, nun seit 18 Jahren. Von dieser Erfahrung profitiere ich jetzt, aber natürlich auch davon, dass mein Mann sich genauso um die Kinder kümmert und wir eine wunderbare Tagesmutter haben. Unabhängig davon, welchen Beruf ich ausübe, muss es für die Kinder verlässliche Zeiten geben, die für sie reserviert sind. Das gilt natürlich auch für das Ministeramt.
Schekker: Trotzdem passiert es Ihnen doch sicher auch, dass mal ein Termin dazwischen kommt. Geht es bei Ihnen auch mal drunter und drüber?
Ursula von der Leyen: Oh ja! Es läuft fast nie ein Tag so, wie wir ihn geplant hatten. Mal wird eines der Kinder krank, mal fällt die Sportstunde aus - es ändert sich dauernd irgend etwas.
Schekker: Verraten Sie uns drei Grundsätze, die Sie in der Erziehung Ihrer Kinder anwenden?
Ursula von der Leyen: Mein wichtigster Grundsatz lautet, selbst ein Vorbild zu sein und genau das zu tun, was ich von den Kindern auch verlange. Dann gehört dazu, die Kinder jeden Tag zu bestätigen. Ich glaube, viele Eltern neigen dazu, zu kritisieren und zu nörgeln. Ich finde es wichtig, den Kindern zu sagen, was sie gut gemacht haben und sie zu loben: "Wie schön, dass du heute so schnell aufgestanden bist" anstatt "Kommst du endlich aus dem Bett?". Ich bedanke mich auch für Selbstverständlichkeiten, etwa, wenn sie den Tisch abgeräumt haben. Das vergisst man oft im Alltag und sieht immer nur das, was gerade nicht gelaufen ist.
Der dritte Punkt, der gerade im Moment wichtig ist, betrifft die Erreichbarkeit. Das heißt vor allem, ans Handy zu gehen, wenn die Kinder anrufen, selbst wenn ich gerade im Gespräch bin. Ich bitte dann um Verständnis bei meinen Gesprächspartnern und ernte es auch. Meist sind es nur Kleinigkeiten, aber es ist wichtig, dass ich diesen steten Kontakt am Tag halten kann.
Schekker: Denken Sie bei familienpolitischen Entscheidungen auch an die Auswirkungen auf Ihre Familie oder spielt das keine Rolle?
Ursula von der Leyen: Das spielt eine sehr große Rolle. Wir unterstützen junge Menschen darin, dass sie überhaupt den Mut aufbringen, Kinder zu bekommen. Dabei zehre ich natürlich von meinen eigenen Erfahrungen, besonders, wenn es darum geht, jungen Müttern und Vätern das schlechte Gewissen zu nehmen, wenn sie Familie und Beruf vereinbaren wollen. Ich weiß, dass man am Anfang viele Zweifel hat, ob man das alles auch richtig macht.
Schekker: Ihre Vorgängerin Renate Schmidt hat sich sehr im Bereich der Kinder- und Familienfreundlichkeit engagiert. Welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihrem Ressort setzen?
Ursula von der Leyen: Mir ist es wichtig, dass wir uns mehr um Kinder kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens geboren werden, die in ihren Familien Vernachlässigung erleben. Wo Armut, Gewalt und Drogenprobleme dazukommen, müssen wir helfen. Nicht erst, wenn die schlimmsten Auswirkungen ans Licht kommen.
Ich möchte den Zusammenhalt der Generationen fördern, damit sich alle zusammen dafür einsetzen, dass Kinder in den Mittelpunkt unseres Denkens gestellt werden. Es gibt ein schönes afrikanisches Sprichwort, das heißt: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen." Diesen Grundgedanken möchte ich stärker in unsere Gesellschaft tragen.
Schekker: Wie wollen Sie das anstellen?
Ursula von der Leyen: Ich bin der festen Überzeugung, dass die ältere Generation gerne geben möchte, was sie geben kann, nämlich Zeit und Erfahrung - und dass die jüngere Generation davon profitieren kann. Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag festgeschrieben, Mehrgenerationenhäuser in Deutschland zu schaffen, also Orte, an denen sich die Menschen tagsüber treffen können, wo es eine Krabbelgruppe mit einer Altenbegegnungsstätte gibt, ein Jugendzentrum und Hausaufgabenhilfe unter einem Dach. So können sich die Generationen untereinander helfen.
Schekker: Wo kommen Jugendliche in Ihrer Politik vor?
Ursula von der Leyen: Für junge Menschen ist das Thema Ausbildung und Arbeit ganz, ganz wichtig. Das liegt nun nicht direkt in meinem Ressort, aber es ist das bestimmende Thema. Gerade am Anfang des Lebens sind Ausbildung und die Möglichkeit, zu arbeiten, entscheidend für das eigene Selbstverständnis und Selbstbewusstsein.
Was aber deutlich in meiner Ministerverantwortung liegt, ist der Punkt, dass es viel Aufklärungsbedarf bei ungelösten Fragen gibt. Das gilt für Fragen zur Sexualität aber auch zu Gefahren, die von Drogen und Alkohol ausgehen, oder zum verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet.
Jugendliche haben unglaublich viele Talente, Neugier und Interessen. Deshalb sind sie aber auch risikobereit. Und ein Familienministerium muss einen Weg für die Gratwanderung finden, die Türen zu öffnen und zuzulassen, dass Jugendliche immer wieder auf neues Land wollen, aber auch auf die Gefahren aufmerksam machen, die damit verbunden sein können.
Schekker: Stichwort Risikobereitschaft: Wie schätzen Sie das Gesundheitsbewusstsein junger Menschen ein?
Ursula von der Leyen: Jungsein heißt, dass man normalerweise Gesundheit als selbstverständliches Gut hat und sich darüber nicht bewusst ist, wie schnell man es verlieren kann. Deshalb ist Information wichtig, einerseits um zu zeigen, was bei riskantem Verhalten passieren kann, andererseits um darauf aufmerksam zu machen, wie man sich im jugendlichen Alter andere Ventile verschaffen kann. Nicht das Verbot allein hilft, man muss auch Alternativen benennen.
Wenn man beispielsweise frustriert oder gelangweilt ist, dann sind Sport und sich austoben, sich bis an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit bringen, ein wunderbares Mittel gegen Aggression und Leere , am besten in der Gruppe.
Schekker: Und welchen Weg schlagen Sie vor, um Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol beizubringen?
Ursula von der Leyen: Drei Punkte: Erstens gucken Jugendliche ganz genau, wie sich Erwachsene verhalten. Man kann noch so viel predigen, wenn das Vorbild nicht stimmt, dann nützen all die schönen Sonntagsreden nichts.
Zweitens wird Alkohol in unserer Gesellschaft absolut verharmlost: Das Bier ist ein Zeichen für Gemütlichkeit, nicht der Einstieg in eine mögliche Alkoholabhängigkeit. Übrigens wird auch das Thema Übergewicht in einem sehr milden Licht gesehen, obwohl das der Auslöser für die meisten großen Volkskrankheiten ist.
Drittens sind ganz klare Spielregeln wichtig, an die sich alle halten. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf. Je schwammiger die Regeln sind, desto schwieriger ist es, den Jugendlichen Halt und Orientierung für ihr Verhalten zu geben.
Schekker: Sie plädieren dafür, Alkohol nicht an Jugendliche unter 18 Jahre zu verkaufen. Ist das eine Regelung, die Sie als Gesetzesinitiative zusammen mit der Gesundheitsministerin einbringen werden?
Ursula von der Leyen: Ich habe diesen Vorschlag bereits eingebracht, aber bisher nicht die Unterstützung aller Länder gefunden, leider. Das ist ein ganz dickes Brett, das ich zur Zeit weiter bohren muss. Aber das gehört auch zur Politik dazu, nicht aufzugeben, sondern weiter zu überzeugen. Im Augenblick habe ich einfach nicht genügend Mitstreiter.
Schekker: Woran liegt das?
Ursula von der Leyen: Ich kann mir gut vorstellen, dass in den Ländern, in denen Alkohol produziert wird, wirtschaftliche Interessen dahinter stehen. Ein anderer Teil der Leute sagt sich vielleicht, das bringt doch nichts. Ich bin aber der Meinung, dass die Regeln von heute butterweich sind. Manche Alkoholsorten dürfen an Jugendliche unter 18, manche darüber ausgegeben werden. Das ist für Jugendliche und Verkäufer nicht eindeutig. Ich halte das für ein Thema, das man konsequent weiter verfolgen muss. Und wenn ich weiter diese dicken Bretter bohre, komme ich irgendwann durch.
Schekker: Und wenn Sie bei Ihrem Brett woanders ansetzten?
Ursula von der Leyen: Natürlich geht es auch darum, Verbündete zu suchen und ein Bewusstsein für die Vorbildfunktion zu schaffen, zum Beispiel in den Sportvereinen. Wenn man dort ein tolles Spiel gehabt habt und sich hinterher noch gemeinsam hinsetzt, dann trinkt der Trainer erst mal ein Bier und raucht eine Zigarette und macht damit wieder kaputt, was er in der Stunde davor erreicht hat. Die reine Gesetzesebene wird diesen Weg also nicht allein ebnen können.
Schekker: Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?
vUrsula on der Leyen: Ich glaube, ich schaue als erstes, ob ein Eltern-Kind-Büro da ist. Und wenn nicht, dann richte ich eins ein.
Schekker: Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen einen guten Start!
Das Gespräch führte die Schekker-Redaktion (www.schekker.de).