Der Anspruch des Sozialstaats ist es, den Menschen Sicherheit in schwierigen Lebensphasen zu bieten und zusätzlich Chancen für eine eigenverantwortliche Lebensführung zu eröffnen. Die Familienpolitik orientiert sich an diesem Verständnis des vorsorgenden Sozialstaats. Mit gezielten finanziellen Unterstützungen bietet sie zum einen in schwierigen Lebensphasen materielle Sicherheit. Zum anderen schafft die Familienpolitik Rahmenbedingungen und setzt Anreize, damit beide Elternteile arbeiten können, und alle Kinder eine gute Förderung erhalten.
Trends, die das Familienleben prägen
Vor dem Hintergrund des vorsorgenden Sozialstaates nimmt die Fortschrittsagenda "Sicherheit und Chancen für Familien. Wie weiter mit der Familienpolitik in und nach der Pandemie?" eine Standortbestimmung der Familienpolitik vor. Sie skizziert vier zentrale Trends, die das Familienleben in Deutschland bereits vor der Pandemie maßgeblich geprägt haben:
- Partnerschaftliche Vereinbarkeit: Während sich junge Väter zunehmend wünschen, bei der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder eine aktivere Rolle einzunehmen, wollen Mütter ihren bereits eingeschlagenen beruflichen Weg auch mit kleinen Kindern fortsetzen. Wenn Mütter und Väter in ihrem Wunsch nach einer gleichmäßigen Aufteilung von Erwerbsarbeit und Familienaufgaben zwischen den Elternteilen unterstützt werden, schafft das für Familien Sicherheit und Chancen.
- Familienergänzende Bildung und Betreuung: Damit Eltern so arbeiten können, wie sie es sich vorstellen, ist eine gut ausgebaute Betreuungsinfrastruktur elementar. Gute Kinderbetreuungsangebote sorgen zudem dafür, dass sich alle Kinder - unabhängig von den Ressourcen in ihrem familiären Umfeld - gut entwickeln können.
- Familiensensible Arbeitsbedingungen: Das Thema Vereinbarkeit führt auch dazu dass Mütter und Väter andere Anforderungen an ihre Arbeitgeber stellen. Es trägt dazu bei, dass familiensensible Arbeitsbedingungen in Deutschland immer bedeutsamer werden. Die wichtigsten Instrumente betrieblicher Vereinbarkeitspolitik bleiben flexible Arbeitszeitmodelle sowie flexibles und mobiles Arbeiten, auch von zu Hause aus.
- Müttererwerbstätigkeit: Durch die Veränderungen der Rollenbilder und durch die unterstützende Familienpolitik ist die Zahl der Mütter, die einem Beruf nachgehen, in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Auch ihre durchschnittliche Arbeitszeit ist dabei angestiegen. Das bringt Familien mehr wirtschaftliche Sicherheit, denn zwei Familieneinkommen sind ein sehr wirksamer Schutz vor Armutsrisiken und sichern Teilhabe- und Entwicklungschancen der Kinder.
Starke Familien für ein stärkeres Land
Die beschriebenen Trends würden sich ohne einen wirksamen familienpolitischen Rahmen heute kaum so deutlich abzeichnen. Durch einen Dreiklang aus finanzieller, zeitbezogener und infrastruktureller Unterstützung schafft der Sozialstaat die notwendigen Rahmenbedingungen für Vereinbarkeit. Dabei setzt er Anreize, eigenständig Lebenschancen zu entwickeln.
So unterstützt beispielsweise das Elterngeld zusammen mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und trägt so zur wirtschaftlichen Sicherheit der Familien bei. Gleichzeitig bietet der Sozialstaat Sicherheit in schwierigen Lebensphasen. Das erfolgt zum Beispiel durch den Kinderzuschlag, der Eltern unterstützt, wenn ihr kleines Erwerbseinkommen nicht für die ganze Familie ausreicht. Die Kombination aus Kinderzuschlag und eigener Erwerbstätigkeit schafft für Familien langfristige Chancen, weil sie eine Brücke aus dem Transferbezug hin zur eigenständigen Existenzsicherung bildet. Zahlreiche Studien zeigen, dass Ausgaben für Familien als soziale Investitionen mit vielfältigen Gewinnen zu verstehen sind.
Vier Handlungsfelder für eine fortschrittliche Familienpolitik
Die Familienpolitik schafft im vorsorgenden Sozialstaat Sicherheit und Chancen. Wie bedeutsam dafür die familienbezogenen Leistungen sind, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Besonders deutlich ist die immense Relevanz der Betreuungsinfrastruktur geworden, als Schulen und Kitas flächendeckend geschlossen wurden.
Gleichzeitig hat sich auch während der Krise die partnerschaftliche Aufteilung von Betreuungsaufgaben als hilfreich erwiesen. Zudem haben Unternehmen in der Krise Verantwortung übernommen und gemeinsam mit den Eltern Vereinbarkeitslösungen gefunden. Angesichts der ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise ist der Sozialstaat, der Risiken absichert und Zugänge zu finanziellen Hilfen schafft, für Familien essenziell.
Vor dem Hintergrund des vorsorgenden Sozialstaats und dieser aktuellen Erfahrungen werden in der Fortschrittsagenda konkrete Vorschläge für familienpolitische Entwicklungen in vier Fortschrittsfeldern vorgelegt:
- Neue Qualität der Vereinbarkeit: Um auch bei vollzeitnaher, existenzsichernder Erwerbstätigkeit beider Eltern Optionen für Familienzeit zu schaffen, soll eine Familienarbeitszeit eingeführt werden. Eltern und Unternehmen stehen einer solchen Leistung mit großer Offenheit gegenüber.
- Chancen für Kinder: Um eine gerechte Chancenverteilung für Kinder bis ins Grundschulalter abzusichern, soll der quantitative und qualitative Ausbau von (Ganztags-)Angeboten vorangetrieben werden.
- Wirtschaftliche Sicherheit: Um Armutsrisiken und verdeckte Armut effektiv zu bekämpfen und eine Brücke aus dem Transferbezug in die eigene Unabhängigkeit zu bauen, sollen Kindergeld und Kinderzuschlag zu einem bedarfsgerechten, gestaffelten Kindergeld integriert werden. In der Bevölkerung gibt es eine breite Mehrheit von 70 Prozent, die den Vorschlag unterstützt, Geringverdienenden ein höheres Kindergeld zu zahlen.
- Zugänglichkeit von Leistungen: Um die Bekanntheit und Zugänglichkeit von Leistungen zu verbessern, müssen die Entbürokratisierung und die Digitalisierung vorangetrieben werden.