Hannover Lisa Paus hält Festrede zum 7. Frauentag der IGBCE

Es gilt das gesprochene Wort.

Der Frauentag der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) findet nur alle vier Jahre statt. Darum ist er etwas Besonderes. Zumal Sie mir heute den Platz für die Festrede eingeräumt haben! Dafür danke ich Ihnen sehr herzlich. Im Programm stehen 30 Minuten. Keine Sorge - so lange werde ich nicht sprechen. Denn Sie haben bereits ein strammes Programm hinter sich - und nach meiner Rede folgt der gemütliche Teil des Tages. 

Gewerkschaften und Betriebsräte gehören zur Wirtschaft in Deutschland wie die Stützpfosten zum Stollen des Bergwerks. Gerade die IGBCE mit ihren 600.000 Mitgliedern als drittgrößte Einzelgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ist eine Stimme, die zählt. Und Gleichstellung ist bei der IGBCE ein wichtiges Thema! Wie es um sie steht, dazu haben Sie im März diesen Jahres 2700 Mitglieder stichprobenartig befragt. Das Ergebnis finde ich spannend: Danach sagen mehr als 20 Prozent der Befragten, dass Frauen in ihrem Betrieb benachteiligt werden. Wenn wir dann allein auf die befragten Frauen schauen, sagen sogar 41 Prozent, dass Frauen in ihrem Betrieb eher oder oft benachteiligt werden.

Konkret sehen sich viele befragte Frauen in ihrem Betrieb mit Blick auf die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern benachteiligt - trotz der vergleichbar hohen Tarifbindung in den IGBCE-Branchen.

Da ist es also sehr gut, dass Sie - liebe Frauen bei der IGBCE - Ihre Stimme erheben. Jeden Tag und besonders heute, auf dem Frauentag der IGBCE. Das Thema dieses Frauentags ist "Geschlechtergerechte Transformation". Ihre Perspektive auf die Transformation ist wichtig, denn eines ist gewiss: Die sozial-ökologische Transformation wird unser Leben von Grund auf verändern: Wie wir bauen und wohnen. Wie wir uns fortbewegen. Wie wir arbeiten. Wie wir Energie erzeugen. An jeder dieser Stellschrauben müssen wir Gleichstellung mitdenken! Jeder Aspekt der Klimakrise, jeder Baustein der ökologischen Transformation ist geschlechterrelevant. Dies gilt aber nicht nur für die ökologische Transformation, sondern insbesondere auch für die Transformation in der Arbeitswelt.

Die Arbeitswelt verändert sich derzeit rapide. Durch den demografischen Wandel, die Digitalisierung und die sozial-ökologische Transformation. All das will von Politik und Wirtschaft gestaltet werden. Gleichzeitig suchen viele Unternehmen händeringend nach Fachkräften - daran ändert auch die derzeitige konjunkturelle Delle nichts. Ich bin überzeugt: Die Transformationen, die jetzt anstehen, können wir nur schultern, wenn wir motivierte und gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben. Wir brauchen alle geschickten Hände, alle klugen Köpfe - in all ihrer Vielfalt. 

Dazu ein Beispiel, wie das gelingen kann: Im März habe ich ein Unternehmen aus der Energiebranche in Berlin besucht: Das war der Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz Transmission GmbH. In dem Unternehmen wissen die Verantwortlichen: Die Transformation gelingt nur mit den Frauen! Wir brauchen die hochqualifizierten Frauen als Fachkräfte und Entscheidungsträgerinnen. Und wir brauchen gute Arbeitsbedingungen für alle - um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Daher hat das Unternehmen - auch gemeinsam mit der Betriebsgruppe der IGBCE - passende Gleichstellungsmaßnahmen für seinen Betrieb entwickelt: ein Frauennetzwerk, eine betriebsnahe Kita oder Stellenausschreibungen, die gezielt Frauen ansprechen. Mit einer 37-Stunden-Woche und flexiblen Arbeitszeitmodellen macht sich dieses Unternehmen für alle Bewerberinnen und Bewerber attraktiv. 

Die jüngsten Tarifabschlüsse zeigen, dass der Wunsch nach mehr Zeitautonomie gegenüber höheren Löhnen an Bedeutung gewonnen hat. Innovative und flexible Arbeitsorganisationen, die Zeit für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige lassen, sind das Modell der Zeit. Dann können wir auch das Erwerbsvolumen von Frauen weiter steigern. Denn eine auskömmliche Erwerbstätigkeit ist der Schlüssel, um wirtschaftlich eigenständig zu leben. Wer wirtschaftlich auf eigenen Beinen steht, hat mehr Freiheiten im Leben, mehr Spielräume bei Entscheidungen - auch und besonders in Lebenskrisen, etwa bei Scheidung oder Tod des Partners oder der Partnerin. Und genau da will ich hin: Es sollte für mehr Frauen selbstverständlich sein, wirtschaftlich eigenständig zu leben. 

Heute leben in Deutschland 83 Prozent der Männer von der eigenen Erwerbstätigkeit. Demgegenüber sind es 69 Prozent der Frauen. Das ist ein erheblicher Unterschied - aus wirtschaftspolitischer und aus gleichstellungspolitischer Sicht. Die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen war auch einer meiner Vor-Vorgängerinnen im Amt ein großes Anliegen. Und zwar Renate Schmidt. Vor knapp zehn Jahren hat sie ein Buch herausgegeben. Der Titel lautet: "Ein Mann ist keine Altersvorsorge. Warum finanzielle Unabhängigkeit für Frauen so wichtig ist."  Kürzlich stellte das Magazin STERN dazu das Buch von Shruti Advani vor - "Warum Frauen nie nach Geld heiraten sollten." Das Thema ist und bleibt also aktuell - aber politisch ist bis jetzt viel zu wenig geschehen. Darum will ich als Familien- und Frauenministerin erreichen, dass Frauen wirtschaftlich unabhängig sind, sie so leben können, wie sie es sich wünschen, sie finanziell nicht von einem Partner abhängig sind.

Ich glaube, da stimmen Sie mir zu, liebe IGBCE-Frauen. Eines ist klar: Wer will, dass Frauen mehr arbeiten, muss sie entlasten! Dafür brauchen wir Väter, die sich mehr in der Familie engagieren. Und Arbeitgeber, die deutlich machen: Vereinbarkeit ist eine Aufgabe für beide Geschlechter - und wir unterstützen euch! Deshalb setze ich mich für die Einführung der Familienstartzeit ein: Wir wollen dem Partner oder der Partnerin Zeit geben, sich um die junge Mutter zu kümmern und sie bei der Regeneration zu unterstützen. Die Familienstartzeit ist ein Impuls zur partnerschaftlichen Aufgabenteilung von Beginn an. Studien zufolge beteiligen sich Väter stärker an der Kinderbetreuung je früher sie in familiäre Aufgaben eingebunden sind. Und das wiederum erleichtert es Frauen, erwerbstätig zu sein. Eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Vereinbarkeit ist eine gut ausgebaute soziale Infrastruktur.

Erfreulicherweise ist der Ausbau der Kinderbetreuung in den letzten Jahren gut vorangekommen - auch weil der Bund die Länder mit dem KiTa-Qualitätsgesetz mit rund vier Milliarden Euro in diesem und im vergangenen Jahr unterstützt. Verglichen mit dem Jahr 2006 hat sich die Zahl der Plätze für unter Dreijährige etwa verdreifacht (auf über 856.600 Plätze). Ein kurzer Zwischenruf: Wer hier im Saal Kita-Kinder hat oder hatte, wird jetzt denken: Kita-Krise! Ja, ich weiß, wie viele Fachkräfte überlastet sind wie viele Fachkräfte fehlen,  wie die Eltern genervt sind. Ich sage nur kurz: Da sind wir gemeinsam mit den Ländern dran. Wir haben zusammen mit den Ländern eine Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag entwickelt. Mit rund 50 Empfehlungen wollen wir mehr Fachkräfte gewinnen. Wir arbeiten auch an einer Reform der Familienpflegezeit, damit pflegende Angehörige Beruf und Familien besser vereinbaren können. So wichtig die Verantwortung der Politik für eine bessere Vereinbarkeit ist - ebenso wichtig ist die Verantwortung der Arbeitgeber. Ohne familienfreundliche Arbeitsbedingungen wird die Vereinbarkeit im Alltag nicht funktionieren. Mit unserem Unternehmensprogramm "Erfolgsfaktor Familie" unterstützen wir daher Arbeitgeber kostenlos bei der Umsetzung einer familienbewussten Personalpolitik.

Ein Thema wird in naher Zukunft mit neuem Schwung auf den Tischen von Gewerkschaften und Betriebsräten landen: wie sie das Entgeltgleichheitsgebot in ihren Betrieben umsetzen. Seit Jahren gibt es eine Lücke zwischen den Gehältern von Männern und den Gehältern von Frauen. 18 Prozent Unterschied sind es. Wir zählen damit zu den Schlusslichtern Europas! Und warum ist das so? Auch weil die aktuelle gesetzliche Grundlage unzureichend ist. Weil tatsächlicher Umfang und Reichweite des Entgelttransparenzgesetzes von 2017 vielen nicht bekannt sind. Das hat unter anderem Anfang des vergangenen Jahres ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichtes bestätigt. Da hatten ein Mann und eine Frau die gleiche Tätigkeit im Vertrieb. Er verdiente jedoch mehr, weil er besser verhandelt hatte. Als das bekannt wurde, hat die Frau geklagt - und Recht bekommen! 

Das Urteil bestätigt: Verrichten Frauen und Männer gleiche oder gleichwertige Arbeit, müssen Gehaltsunterschiede durch objektive und geschlechtsneutrale Kriterien begründet sein - und nicht etwa durch besseres Verhandlungsgeschick. Auch die 2. Evaluation zum Entgelttransparenzgesetz hat gezeigt, dass es nur wenig Verbesserungen bei der Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes gegeben hat. Darum entwickeln wir das Entgelttransparenzgesetz weiter. Mit der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie bekommen wir Rückenwind und vor allem stärkere Instrumente an die Hand: Zum Beispiel die Berichtspflicht für Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten. Sie müssen in Zukunft regelmäßig über ihre geschlechtsspezifische Lohnlücke informieren.  

Die Regelung unterscheidet nach Größe der Arbeitgeber - im Hinblick auf Berichtsstart und Berichtsrhythmus: Kleinere Unternehmen brauchen erst ab Juni 2031 einen Bericht zu erstellen und sind nur alle drei Jahre berichtspflichtig - die größeren mit mehr als 150 Beschäftigten dagegen schon ab 2027, wobei auch hier nur die großen Betriebe eine jährliche Berichtspflicht trifft. Alle Beschäftigten bekommen außerdem ein Auskunftsrecht: Damit können sie herausfinden, wo sich ihr Gehalt im Vergleich zu Kolleginnen und insbesondere Kollegen mit vergleichbaren Tätigkeiten bewegt. Eine Beschränkung - wie aktuell auf Arbeitgeber mit mehr als 200 Beschäftigten und auf einen Betrieb - greift dann nicht mehr. Zu ihrem Schutz dürfen Beschäftigte dieses Recht über Arbeitnehmervertretungen wahrnehmen. Damit zeigt sich die Bedeutung der Arbeitnehmervertretungen für die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots. Aber auch die Gewerkschaften werden durch die Richtlinie gestärkt. Sie sollen zum Beispiel Betroffene in Klageverfahren besser als bisher unterstützen können, um deren Recht auf Entgeltgleichheit durchzusetzen. Das Entgelttransparenzgesetz wurde oft als zahnloser Tiger kritisiert, weil es keine Sanktionen oder Ähnliches vorsah. Auch hier zwingt uns die Richtlinie zu Nachbesserungen. Das Umsetzungsgesetz wird unter anderem Geldbußen vorsehen, für Arbeitgeber, die den neuen Pflichten aus dem Gesetz nicht nachkommen. Damit stärken wir die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes weiter. Ich möchte ein zügiges Gesetzgebungsverfahren, das wir noch in dieser Legislaturperiode abschließen wollen. 

Sehr geehrte Gäste, lassen Sie mich zum Hauptthema dieses 7. Frauentages zurückkommen: der Transformation. Der vierte Gleichstellungsbericht wird sich ebenfalls mit der sozial-ökologischen Transformation beschäftigen. Frau Prof. Dr. Bothfeld hat hierzu bereits Ausführungen gemacht. Ich will, dass alle Menschen ein gutes Leben haben. Unabhängig von ihrem Geschlecht. Das ist wichtig inmitten der ökologischen aber auch der sozialen Transformation, die wir derzeit erleben. Das Gutachten der Sachverständigenkommission rund um Frau Prof. Dr. Bothfeld soll uns zeigen, wie wir dahin kommen: Wir wollen wissen, wie wir die Ziele Gleichstellung und Klimaschutz beziehungsweise Klimaanpassung unter einen Hut bekommen und dabei den sozialen Zusammenhalt bewahren. Das ist freilich nicht nur Aufgabe des Gleichstellungsministeriums - sondern der gesamten Bundesregierung! Bundeskanzler Scholz hat auf der letztjährigen Klausurtagung der Bundesregierung in Meseberg noch einmal herausgestellt: Der schnelle Umbau der Wirtschaft ist wichtig. Aber auch enorm schwierig. Dafür brauchen wir alle - insbesondere auch die Gewerkschaften. Um das erfolgreich zu schaffen, müssen alle überzeugt werden und mitmachen: die Unternehmen, die Beschäftigten und die Gewerkschaften. Und geschlechtsspezifische Aspekte gilt es möglichst frühzeitig mitzudenken.

Liebe Gäste, ärgern Sie sich auch gelegentlich über das Poster eines Pinup-Girls in der Werkshalle? Hören Sie auch immer mal wieder blöde Altherren-Witzen? Wenn ich Firmen besuche, wird mir immer mal wieder darüber berichtet. Sexismus ist leider noch immer ein Thema. Sexismus und Gewalt gegen Frauen macht nicht an Grenzen halt. Darum bin ich sehr froh, dass wir kürzlich in Brüssel die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verabschiedet haben. Um in Deutschland voranzukommen, habe ich 2023 das Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus" gegründet. Inzwischen hat es branchenübergreifend fast 650 Mitglieder. Es unterstützt seine Mitglieder mit öffentlichen Veranstaltungen, mit einer Print-on-demand-Ausstellung sowie einer Handreichung mit 30 Maßnahmen.

Liebe Delegierte, ich freue mich, wenn Sie in Ihren Betrieben und Unternehmen Werbung für das Bündnis machen. Weitere Beitritte sind jederzeit willkommen. Ich freue mich gleichfalls, dass das Bündnis auch schon Thema bei der IGBCE ist. 

Liebe Gäste, ein letztes Thema möchte ich noch ansprechen - und das liegt mir besonders am Herzen. Die Demokratie - ihr Schutz und was Sie dafür tun. In zehn Tagen finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Parallel dazu finden in neun Bundesländern Kommunalwahlen statt. Fast täglich hören wir von Angriffen auf Menschen, die sich für andere engagieren. 

Sei es beim Aufhängen von Wahlplakaten; sei es, wenn der Bürgermeister einen neuen Platz für eine Flüchtlingsunterkunft sucht; sei es, wenn Sanitäter oder die Feuerwehr bei einem Einsatz behindert werden. Das ist schlimm. Da gilt es dagegen zu halten. Das ist mir als Engagementministerin sehr wichtig. 

Sie, liebe Gewerkschaftsmitglieder, spielen dabei eine wichtige Rolle. Seit 75 Jahren sichert das Grundgesetz die Arbeit der Gewerkschaften. Als Gewerkschaft setzen Sie sich für die Gleichstellung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. Tarifverträge gelten für alle im Unternehmen - unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter oder sexueller Orientierung. Sie kämpfen für gerechte Löhne, soziale Sicherheit, gleiche Karrierechancen und den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. Ihre Arbeit trägt dazu bei, Demokratie auch in die Unternehmen zu tragen und ein Verständnis für ein friedvolles Miteinander zu fördern. Ihr Engagement ist gelebte Demokratie.  Ich danke Ihnen für Ihre wichtige Arbeit. 

Sehr geehrte Delegierte, Ich danke Ihnen, dass Sie sich in der Industrie, im Bergbau, in der Chemie und in der Energiewirtschaft - erst recht in Zeiten des Umbruchs - für Frauen und Gleichstellung stark machen. Meine Bitte: bleiben Sie an den Themen dran und tragen so zu einer sozialen, gleichstellungsgerechten und ökologischen Arbeitswelt bei. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit am Ende eines langen Tages. Und wünsche Ihnen einen konstruktiven 7. Frauentag! Vielen Dank.