Es gilt das gesprochene Wort.
Es wird Zeit, ein Gesetz zu brechen! Sie merken, ich habe absichtlich eine Pause gelassen. Falls jemand diese Aussage zusammenschneiden will. Um dann morgen aufgeregt auf einer Plattform zu posten: "Grünen-Ministerin ruft zum Gesetzesbruch auf!" Dabei rede ich hier nicht von unserem Grundgesetz, vom Jugendschutzgesetz oder dem Strafrecht. Sondern vom Amaras-Gesetz - einem Klassiker der Technologiebeschreibung. Es besagt: "Wir neigen dazu, die kurzfristige Wirkung einer Technologie zu überschätzen - und die langfristige Wirkung zu unterschätzen." Dieses Gesetz möchte ich bezogen auf Künstliche Intelligenz (KI) wirklich gerne brechen! Ich will, dass wir weder kurzfristig in Hype oder Panik verfallen noch die langfristigen Auswirkungen naiv herunterspielen. Es geht darum heute zu gestalten, wie sich Künstliche Intelligenz in Zukunft auswirkt. Nicht mit Hype, nicht mit Panik. Sondern mit Politik.
Wir sind nicht auf dem Weg in eine digitale Gesellschaft. Wir leben bereits in einer! Und kaum eine Innovation der letzten Jahre prägt die digitale Gesellschaft so sehr wie die Künstliche Intelligenz. Die so genannte "generative KI" ist dabei nur ein kleiner Ausschnitt. Aber buchstäblich in aller Munde. Sie alle kennen die großen Sprachmodelle wie GPT 4 oder die großen Modelle zur Bildgenerierung. Wir sehen schon die nächsten Entwicklungen am Horizont - nämlich die KI-Fähigkeit, über wenig Texteingabe komplette Videos zu erstellen. Dann schreibe ich nur noch: "Erstelle ein Video, in dem Lisa Paus sagt, 'Es wird Zeit, ein Gesetz zu brechen!'". Und niemand muss sich mehr die Mühe machen, meinen Satz aus dem Zusammenhang zu schneiden. Das klingt nur im ersten Moment witzig. Und im zweiten nach einem riesigen Potential zur Manipulation. Einer Gefahr für unsere freiheitliche, demokratische Gesellschaft. Darum stellen wir uns heute grundlegende Fragen: Wie bekämpfen wir Desinformation und den missbräuchlichen Einsatz von Deep Fakes? Was bedeutet KI für Gleichstellung? Wie verhindern wir, dass KI bestehende Diskriminierungen verstärkt?
Denn genau das passiert so häufig. KI-Modelle basieren auf unvorstellbaren Datenmengen. Diese bilden unsere Realität ab. Und damit auch existierende Missstände, gegen die wir seit Jahren kämpfen. Wenn meine Daten sagen, dass Thomasse und Michaels sich super in Führungsetagen machen - dann schlägt mir das Entscheidungssystem eben Thomas und Michael zur Beförderung vor. Statistik. Céline, Susanne und Ali fallen hinten runter - weil ihnen die Chefs schon früher absprachen, führen zu können oder sie wegen tradierter Familienbilder gar nicht erst in Frage kamen. KI-Modelle sind eben nur so gut, wie die Daten, mit denen sie trainiert werden.
Wir im Gesellschaftsministerium reden nicht nur über KI, wir nutzen sie und wollen sie mitgestalten. Dabei orientieren wir uns an vier Grundsätzen. Erstens: KI muss zum Wohl aller Menschen gestaltet, genutzt und reguliert werden. Darum fördern wir generationen- und altersgenau Projekte wie "KI für ein gutes Altern". Wir unterstützen mit dem "Digitalpakt Alter" und dem "Digitalen Engel" ältere Menschen dabei, digitale Technik zu erleben und zu erlernen, dazu gehört auch der Umgang mit KI-Werkzeugen. Und wir schützen vulnerable Gruppen wie Kinder und Jugendliche. Zweitens: Wir stärken digitale Kompetenzen und Debattenkompetenz konkret für den politischen Diskurs, um dem zunehmenden Hass und der Desinformation im Netz etwas entgegenzusetzen. Darum fördern wir etwa das Kompetenznetzwerk "Gegen Hass im Netz". Drittens: Wir fördern und unterstützen die Gestaltung von gemeinwohlorientierter KI mit konkreten Maßnahmen. Mit dem Anspruch, dass sie unsere Gesellschaft, unser Miteinander und unsere Umwelt stärkt: eine soziale KI. Wir tragen KI in die Mitte der Gesellschaft. Wir fördern KI-Anwendungen, die Texte in Leichte Sprache umwandeln oder Seniorinnen und Senioren in ihrer Mobilität unterstützt. Und wir arbeiten konkret an einem KI-Chatbot, der Fragen von Bürgerinnen und Bürgern zu familienpolitischen Leistungen beantwortet. Das ist KI für das Gemeinwohl.
Die Civic-Coding-Initiative treiben wir ressortübergreifend mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz voran. Übrigens einzigartig in der Bundesregierung! Das Civic Data Lab unterstützt dabei, Daten zu erheben, zu nutzen und weiterzuverwenden. So gestalten Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft die soziale, nachhaltige und partizipative Entwicklung und Anwendung von KI. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind für uns auch zentrale Akteure, wenn es nun darum geht, die neue KI-Verordnung umzusetzen. Wie die anderen Ressorts auch haben wir ein Datenlabor neu aufgebaut. Und Menschen an Bord geholt, die vorher in Bundesministerien nur äußerst selten zu finden waren. Gemeinsam arbeiten diese Datenlabore an Lösungen, wie wir in der Verwaltung selbst KI sinnvoll nutzen können.
Denn es geht nicht um Hype oder Panik - es geht darum, KI zu gestalten und zu entwickeln. Und zwar eine gemeinwohlorientierte KI! Sie ist möglich, wenn wir Diskriminierungen transparent machen und sie bewusst vermeiden. Sie ist möglich, wenn wir KI demokratisch und gleichberechtigt gestalten - damit KI-Systeme alle mitdenken und die Bedürfnisse aller widerspiegeln. Sie ist möglich, wenn wir nicht nur das Schlimmste verhindern, sondern das Beste für die Gesellschaft schaffen wollen. Dazu möchte ich Sie einladen. Und deshalb: Shaping AI - Demokratisch. Nachhaltig. Innovativ!