Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Dr. Maaßen,
sehr geehrte Damen und Herren,
I.
eine Bundesfamilienministerin auf einem Symposium des Bundesverfassungsschutzes zu islamistischem Terrorismus in Europa: Vielleicht ist das eine Premiere.
Ich danke Ihnen für die Einladung. Sie zeigt, dass wir beginnen, umzudenken: Sicherheit und Prävention gehören untrennbar zusammen.
Es gibt keine Sicherheit ohne Prävention. Der neue Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, hat in der vergangenen Woche einen Masterplan gegen Radikalisierung gefordert. Auch Holger Münch fordert ein abgestimmtes Konzept, das ausdrücklich nicht nur die Sicherheitsbehörden einbezieht. Sie haben sich heute Vormittag intensiv mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Es ist gut, dass Sie im zweiten Teil dieses Symposiums nach gesellschaftspolitischen Antworten suchen.
II.
Wenn ich sehe, wie die selbsternannten Gotteskrieger in Nigeria, im Jemen, in Kenia, in Syrien, im Irak und anderswo wüten, dann macht mich das fassungslos. Überall sterben und leiden Menschen. Der angeblich heilige Krieg mordet, verbreitet Hunger, Angst und Schrecken. Religiöser Fanatismus mit Waffengewalt ist ganz und gar unheilig.
Millionen Menschen fliehen davor - und leiden weiter. Ich denke an diejenigen, die auf der Flucht umkommen. In den Wüsten. Im Mittelmeer. Immer mehr Flüchtlinge suchen Zuflucht auch in unserem Land. Sie suchen Schutz vor Verfolgung, sind oft traumatisiert und haben Tod, Gewalt und bittere Not erlebt.
Wir müssen uns um sie kümmern, so gut uns das möglich ist. Gerade wir Deutschen haben genügend Gründe, Flüchtlingen zu helfen.
Mein Haus plant zum Sommer ein Programm, in dem Kommunen unterstützen wollen, in denen die Menschen den Flüchtlingen helfen. Wir wollen das Programm "Willkommen bei Freunden" nennen. Meine Erfahrung ist: Die Hilfsbereitschaft bei den Menschen ist groß. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Begegnung mit Flüchtlingen zu mehr Solidarität führt und letztendlich sehr wertvoll für unsere Gesellschaft ist.
Sicherheit und Zusammenhalt in einem demokratischen Land - das ist das, was Flüchtlinge hier suchen. Sicherheit und Zusammenhalt in einem demokratischen Land - das ist das, was wir zu bieten und zu verteidigen haben. Denn nicht nur Opfer des islamistischen Terrors überschreiten die Grenzen. Auch der Terror selbst kommt nach Europa - mit Anschlägen auf Menschen und auf unsere Werte.
Es ist eine große sicherheitspolitische Aufgabe, diesen islamistischen Terrorismus in Europa einzudämmen. Ich danke allen, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass die Menschen hier in der Bundesrepublik sicher leben können.
III.
Der Kampf gegen extremistische Gewalt ist eine sicherheitspolitische Aufgabe – es ist aber auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Denn der gewaltorienterte "Islamismus […] steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland!" So schreibt es das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer Broschüre.
Dieser Satz gilt für jeden Extremismus. So unterschiedlich die Formen des Extremismus sind: Alle bedrohen die Demokratie und die Vielfalt in unserer Gesellschaft. Wir haben in den letzten Monaten verschiedene Formen des Extremismus gesehen.
- Im Januar hat uns der islamistische Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo geschockt. Im gleichen Monat wurde in Wolfsburg eine sogenannte Terror-Zelle entdeckt. Der Bombenfund in Oberursel zeigt die Aktualität der Bedrohung in Deutschland. Gut, dass ein Anschlag verhindert werden konnte!
- Im März haben militante Linke in Frankfurt randaliert und Polizisten verletzt. Auch das, was dort passiert ist, gefährdet die Demokratie. Auch diese Ausschreitungen sind nicht zu tolerieren.
- Es ist noch nicht lange her, dass in Tröglitz ein Flüchtlingsheim in Deutschland gebrannt hat. Am 1. Mai haben Rechtsextreme die Maikundgebung auf dem Marktplatz in Weimar gestürmt. Die Sprecherin des Vereins "Familienbündnis" aus Güstrow, Karin Larisch, die sich für Flüchtlinge einsetzt, steht unter Polizeischutz, weil sie praktisch täglich aus der rechten Szene bedroht wird. Rechtsextreme versuchen, in Deutschland eine Atmosphäre der Einschüchterung und Verunsicherung zu schaffen. Immer wieder gelingt es ihnen: Dann treten Bürgermeister zurück oder gar nicht erst zur Wahl an. Und auch dies ist nicht nur eine Frage der Sicherheit.
Jede und jeder ist gefordert, die Demokratie zu verteidigen. Es ist schwer diesen Leuten allein die Stirn zu bieten. Wenn man zusammen steht, ist es leichter. Deshalb ist es wichtig, Mut zu machen - und diejenigen zu unterstützen, die sich für die Demokratie einsetzen.
Wir müssen gemeinsam die Sicherheit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft erhalten. Wir müssen Demokratie leben.
IV.
Ich habe dazu Anfang des Jahres ein Bundesprogramm gestartet, das genauso heißt: "Demokratie leben!". Mit diesem Programm gegen Rechtextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit wollen wir ziviles Engagement und demokratisches Handeln stärken. 40,5 Millionen Euro stehen uns in diesem Jahr dafür zur Verfügung.
Nach wie vor ist Schwerpunkt des Bundesprogramms die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Mit dem Bundesprogramm setzen wir auch wichtige Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses um. Wir entwickeln in dem Programm aber auch Ansätze, um der islamistischen Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorzubeugen.
Es gibt Jugendliche und junge Erwachsene, die von Deutschland aus in Ausbildungslager islamistischer Terrorgruppen reisen oder reisen wollen.
Und es gibt verunsicherte Freunde und Familien, die nicht wissen, wie sie mit solchen Situationen umgehen sollen.
Deshalb brauchen wir Prävention und Beratung genauso wie sicherheitspolitische Maßnahmen. Mit der Aufstockung der Mittel durch den Deutschen Bundestag im letzten Jahr um 10 Millionen Euro bauen wir die Präventionsarbeit mit dem neuen Schwerpunkt gewaltorientierter Islamismus weiter aus.
V.
Dieses Präventionsprogramm ist eine jugendpolitische Aufgabe, die Radikalisierung beginnt in den Köpfen zumeist junger Menschen, die zum Teil jahrelange Radikalisierungsprozesse durchlaufen.
Jugendliche wie der 19-Jährige, dessen Mutter sich an eine Beratungsstelle gewandt hat: Ihr Sohn, ein guter Schüler und ehrgeiziger Bodybuilder, fing aus einem ganz einfachen Grund an, an sich zu zweifeln und Fragen zu stellen: aus Liebeskummer. In der Moschee lernte er einen Salafisten kennen, der ihm vom Koran erzählte, in eine abgeschlossene Gemeinschaft einführte und vor der verderbten deutschen Gesellschaft warnte. Der Junge vergaß seine Freundin und verbringt seine Zeit jetzt mehr vor dem Computer: mit You-Tube-Videos von Haßpredigern und vom IS. Als er anfing, seine Mutter als Ungläubige zu beschimpfen, weil sie keine Burka trägt, hatte sie den Mut, sich an die Beratungsstelle zu wenden. Sie selbst wusste nicht mehr weiter.
Radikalisierung gefährdet zuerst einmal die Jugendlichen - bevor diese Jugendlichen uns gefährden können. Andersherum gesagt: Wenn wir die Jugendlichen vor der Radikalisierung schützen können, schützen wir auch uns.
Dazu wollen wir die Kompetenz der Jugendlichen aufbauen, gewaltorientierten Islamismus vom Islam zu unterscheiden, Glaube von Gewalt zu trennen. Denen, die bereits radikalisiert sind, müssen wir helfen, sich von Extremisten zu lösen. Denen, die in Gefahr sind, müssen wir andere Wege aufzeigen. Und der erste Schritt ist, allen muslimischen Jugendlichen in Deutschland zu signalisieren: Ihr gehört zu uns.
Erst kürzlich habe ich junge Musliminnen und Muslime getroffen. Sie berichteten mir von den Ausgrenzungen, die sie erleben. Obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind, haben sie das Gefühl, nicht als Teil der deutschen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Es gibt ein "Wir" und "Ihr". Diese Jugendlichen, mit denen ich gesprochen habe, wollen diese Diskriminierungserfahrung in etwas Positives umwandeln. Sie machen Kongresse und Projekte und engagieren sich in Ihren Gemeinden.
Doch nicht allen Jugendlichen, die Ausgrenzung erleben, gelingt das. Die Erfahrung, diskriminiert zu werden, steht nicht selten am Anfang der Radikalisierung. Zur pädagogischen Auseinandersetzung mit Islamismus gehört daher auch Islam- und Muslimfeindlichkeit.
Wir müssen den jungen Menschen vermitteln:
- Wir sehen, dass es Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft gibt.
- Wir nehmen das Problem und eure Erfahrungen ernst.
- Wir möchten gemeinsam mit euch daran arbeiten, dass Islam- und Muslimfeindlichkeit in unserer Gesellschaft keinen Platz hat.
- Unsere Demokratie hat dem etwas entgegen zu setzen.
Mein Ministerium fördert daher 14 Modellprojekte zum Thema Islam- und Muslimfeindlichkeit (mit circa 1,4 Millionen Euro jährlich).
VI.
Wir suchen mit unserem Bundesprogramm "Demokratie leben!" noch nach dem richtigen Weg zur Prävention vor gewaltbereiten Islamismus. Für wirksame Prävention brauchen wir Partner, und wir haben diese Partner. Präventionsarbeit ist Netzwerkarbeit.
Deshalb binden wir erstens muslimische Organisationen ein. Deren Arbeit mit Jugendlichen müssen wir stärken. Die muslimischen Organisationen müssen als Partner begriffen werden. Wir möchten aber auch die Partizipation von muslimischen Gemeinden vor Ort stärken sowie lokale Moscheegemeinden für das Thema Extremismus sensibilisieren und fortbilden.
Wir fördern unter anderem ein Projekt der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Sie will mit anderen muslimischen Verbänden und Migrantenorganisationen in Deutschland neue Präventionsangebote entwickeln. Auch ein Netzwerk von Präventionsbeauftragten soll entstehen.
Ein zweiter Partner sind die Länder. Deradikalisierungsprogramme für gewaltbereite Islamisten liegen in erster Linie in ihrer Zuständigkeit. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen haben bereits solche Programme aufgelegt. Im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" erhalten alle Bundesländer zudem eine Förderung für Beratungsangebote zum Thema Extremismus und Menschenfeindlichkeit.
In jedem Bundesland gibt es ein Demokratiezentrum. An dieses Demokratiezentrum können sich Menschen wenden, die Rat zum Umgang mit Extremismus brauchen. Mit unserem Bundesprogramm beziehen wir erstmalig auch ausdrücklich Beratungsangebote zum Thema "Islamismus / Salafismus" ein. Sie sollen Radikalisierung vorbeugen und die Wiedereingliederung bereits radikalisierter junger Menschen unterstützen.
Ein dritter wichtiger Partner sind die Kommunen. So unterstützen wir in ganz Deutschland Kommunen, "Partnerschaften für Demokratie" als lokale Bündnisse aufzubauen. In den "Partnerschaften für Demokratie" entwickeln kommunale Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gemeinsam eine Handlungsstrategie gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit für ihre Kommune. Zukünftig werden etwa 220 Partnerschaften für Demokratie mit rund 13,9 Millionen Euro jährlich aus dem Bundesprogramm gefördert.
Wir werden zusätzlich eine Million Euro für lokale Projekte in den "Partnerschaften für Demokratie" für die Islamismus-Prävention zur Verfügung stellen. Dadurch erhoffen wir uns eine Stärkung der Vernetzung und Zusammenarbeit kommunaler Akteure zum Thema Islamismus.
Viertens wollen wir mit engagierten Organisationen besser zusammen arbeiten. Erstmals unterstützt das BMFSFJ längerfristig 27 nichtstaatliche Organisationen, die in ihrer Arbeit gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit und für Demokratie und Vielfalt bundesweit bedeutsam sind. Damit wird die Entwicklung einer bundesweit tätigen Infrastruktur gefördert, die fachliche Unterstützung durch Expertinnen und Experten ermöglicht und erfolgreiche Arbeitsansätze weiterentwickelt.
So fördern wir beispielsweise den Verein UFUQ. "ufuq" heißt auf arabisch und türkisch "Horizont". Der Verein bietet Fortbildungen und Workshops zu den Themen Islam und Menschenrechte, Geschlechterbilder, die Bedeutung von Religion in Schule und Alltag sowie Gewalt an. Mit unserer Förderung ist der Verein in der Lage, junge Trainerinnen und Trainer – oft selbst meist muslimischer Herkunft -auszubilden, um auf den gestiegenen bundesweiten Fortbildungsbedarf zu reagieren.
Wir fördern auch das Violence Prevention Network (VPN), das sich gleich im Forum vorstellen wird. In einem Modellprojekt wird das Netzwerk die muslimischen Gemeinden darin stärken, islamisch begründeten Extremismus vorzubeugen. Insbesondere wenn es um Mitglieder der Gemeinde geht, die im Strafvollzug sind oder aus den Gefängnissen entlassen werden.
Und ich bin fünftens sehr froh, dass es mit dem Bundesministerium des Innern eine gute Partnerschaft gibt und unsere Ministerien gemeinsam federführend die Interministerielle Arbeitsgruppe "Demokratieförderung und Extremismusprävention" leiten. Mit der Interministeriellen Arbeitsgruppe wollen wir die Extremismusprävention der Bundesregierung abstimmen und weiter verbessern.
Weitere Partner sind die Forschung und die Bundeszentrale für politische Bildung, die uns bei der Aufklärung zu den Themen Islam und Islamismus unterstützt.
Mit diesen Partnern,
- mit den muslimischen Verbänden und Vereinen,
- mit den Ländern und Kommunen,
- mit engagierten Organisationen
- und mit dem BMI
geben wir eine gesellschaftspolitische Antwort auf die Gefahr eines radikalisierten Islam.
Wir wollen unseren Jugendlichen - damit meine ich ausdrücklich auch die muslimischen - die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Mehr Teilhabe, weniger Diskriminierung ist ein wichtiger Schritt, Jugendliche vor der Radikalisierung zu schützen.
Lasst uns gemeinsam Demokratie leben! Angebote dazu, Beratung, Unterstützung für alle Jugendlichen - das ist unsere gesellschaftspolitische Antwort auf Radikalisierungstendenzen in unserer Gesellschaft.
VII.
Wenn jemand durch unser Bundesprogramm Rat findet und sich gestärkt fühlt, wird Demokratie gelebt. Wir wollen mit unseren Projekten dazu beitragen, dass es mehr Rat und Unterstützung und mehr Sicherheit beim Umgang mit Extremismus gibt. Dabei geht es um alle Formen von Extremismus, die die Demokratie gefährden.
Die Demokratie muss geschützt und immer wieder neu erstritten werden. Sei es in Tröglitz oder in den Moscheen radikaler Prediger.
Denn diese Anstrengungen lohnen sich.
- Es ist besser, Konflikte zu akzeptieren und zu lösen.
- Es ist besser, auf Gewalt zu verzichten.
- Es ist besser, Respekt voreinander und Respekt vor Unterschieden zu haben.
Ich möchte alle zur Demokratie ermutigen: in der Familie, in Kitas, Schulen, Jugendzentren, Sportvereinen und Gotteshäusern.
Und ich möchte mit dem Programm "Demokratie leben!" dazu beitragen, dass Menschen, die Demokratie leben, unterstützt und geschützt werden. Dazu brauchen wir eine gute Sicherheitspolitik und wir brauchen gesellschaftspolitische Antworten auf extremistische Tendenzen.
Diese Antworten finden wir nur gemeinsam. Deshalb freue ich mich sehr, dass Sie, sehr geehrter Herr Maaßen, das Symposium des Bundesverfassungsschutzes zum Islamismus so breit aufgestellt haben.
Prävention schafft Sicherheit. Gemeinsam wollen wir ein lebendiges und dichtes Netzwerk schaffen, das zur Prävention vor Radikalisierung beiträgt.