Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Kister,
sehr geehrte Damen und Herren,
I.
vielen Dank für die freundliche Begrüßung. Ich bin heute Morgen gerne zu Ihnen gekommen. Das Kongressmotto: "Wirtschaft neu denken – die Kraft der Innovation" ist ein guter Titel. Sie setzen sich mit spannenden und hochaktuellen Themen auseinander.
Wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus?
Wie kann Deutschland wirtschaftlich so stark bleiben?
Wie können wir unseren Wohlstand sichern?
"Ist Innovation weiblich?" war die Leitfrage des Abend-Events am Mittwoch. Ich finde, das war ein gutes Timing. Für mich sind Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit die wichtigen Themen - für eine moderne Gesellschaftspolitik ebenso wie für eine innovative Wirtschaftspolitik. Für Männer und für Frauen. Denn Innovation ist weiblich und männlich.
Für den Personalbereich heißt das: Gemischte Teams aus Männern und Frauen sind erfolgreicher. Wenn Sie jetzt glauben: Das muss Frau Schwesig ja behaupten, sie ist schließlich Frauenministerin, dann sage ich Ihnen: Ich befinde mich mit dieser Einschätzung in guter Gesellschaft.
Ob McKinsey, das Karlsruher Institut für Technologie oder, ganz aktuell, Crédit Suisse, ob man sich die Kapitalrendite anschaut oder das Betriebsergebnis oder die Entwicklung des Aktienkurses in den letzten zehn Jahren: Immer sind Unternehmen mit gemischten Entscheidungsgremien erfolgreicher.
Deshalb bezeichnet die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, die Stärkung der Gleichberechtigung von Frauen als einen treibenden Faktor der Konjunktur. In diesem Sinne hat sich die Koalition am Dienstag auf ein Innovationsgesetz verständigt: auf das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst.
Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung am Mittwoch in ein paar Sätzen knapp und präzise gesagt, warum wir die Quote brauchen: "Gleichberechtigung ist kein Gedöns, sondern ein Gebot. Sie ist erstens ein Gebot der Verfassung, zweitens ein Gebot der Vernunft und drittens ein Gebot der Moral." Deshalb ist es richtig, dass die Quote kommt. Mit einer gesetzlichen Frauenquote von 30 Prozent für die 100 größten börsennotierten Unternehmen, mit freiwilligen Vorgaben für 3500 weitere Unternehmen und mit den gleichen Vorgaben für den öffentlichen Bereich.
Eine große Koalition macht das Richtige, wenn sie sich großen Aufgaben widmet. Mit der Quote werden wir einen historischen Schritt zu mehr Gleichberechtigung von Frauen und Männern machen.
Im Grundgesetz steht es: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. In der Lebenswirklichkeit sieht es oft noch anders aus. Drei Viertel der Frauen sagen, sie sind in der Arbeitswelt benachteiligt. Da geht es um Lohnfragen, um Vereinbarkeit - also müssen Frauen dort, wo Entscheidungen getroffen werden, im Aufsichtsrat und im Vorstand, auch mitsprechen können.
II.
Heribert Prantl hat für die Frauenquote folgendes Bild gefunden. "Kinder lernen das Schwimmen mit Schwimmflügeln.
Die Frauenquoten sind die Schwimmflügel der Gesellschaft." Wir können nicht länger am Beckenrand stehen und darüber reden, dass man eigentlich schwimmen müsste, ohne dass sich jemand nass macht. Denn ohne Quote ist nichts passiert.
2013 waren von über 2000 Aufsichtsratspositionen gerade einmal 325 mit Frauen besetzt. In über 900 Vorstandspositionen fanden sich nur 40 Frauen. Deshalb ist es wichtig, dass es keine Ausnahmen für einzelne Branchen oder Unternehmen geben wird.
Da auch die Politik und der öffentliche Bereich hier Nachholbedarf haben, ist es ebenso wichtig, dass die Vorgaben auch für den öffentlichen Dienst und die Unternehmen im öffentlichen Besitz gelten. Es bleibt auch bei der Sanktion des leeren Stuhls, die wir vereinbart haben. Aber ich bin sicher, dass am Ende kein Stuhl leer bleiben wird. Es gibt genug qualifizierte Frauen in Deutschland, und wenn die Quote einmal da ist, wird ganz schnell niemand mehr davon reden, dass Frauen in Führungspositionen eine Belastung für die Wirtschaft sind.
III.
Die Quote ist auch deshalb ein wichtiger Schritt, weil sie einen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten wird. Wenn es an der Spitze eines Unternehmens keine Gleichberechtigung gibt, wer glaubt dann daran, dass es für die übrigen Beschäftigten Gleichberechtigung gibt?
Sobald es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, werden gleiche Chancen in den Unternehmen insgesamt selbstverständlicher werden. Ob in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst. Ich finde im Übrigen - und das hören nicht alle Frauen gern -, dass Gleichberechtigung die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen bedeutet. Nicht Frauen gegen Männer, sondern Gleichberechtigung auf Augenhöhe.
Deshalb werden wir uns auch Branchen anschauen, in denen die Frauen ein deutliches Übergewicht haben. Mit der Quote kommt ein Prozess in Gang, der die Führungs- und Unternehmenskultur in unserem Land verändern wird.
IV.
Die Quote steht aber nicht allein da. Für mich ist es genauso wichtig, dass wir eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie bekommen. Beides, Gleichberechtigung und Familienfreundlichkeit, sind, um noch einmal Heribert Prantl in der Süddeutschen zu zitieren, Gebote der Vernunft.
Zunächst einmal aus Sicht der Familien. Familien können gut leben, wenn sie Beruf und Familie miteinander vereinbaren können. Dann haben sie ein gutes Auskommen, und die Kinder wachsen gut auf, weil ihre Eltern Zeit für sie haben. Aber auch aus Sicht der Unternehmen. Nur mit gut qualifizierten Frauen, auch in Führungspositionen, wird es für die Wirtschaft in unserem Land so erfolgreich weitergehen. Nur mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die gut qualifizierten Fachkräfte, Frauen und Männer, wird es für die Wirtschaft so erfolgreich weitergehen.
Wenn ich bei Wirtschaftsverbänden bin oder mit Verantwortlichen in Unternehmen spreche, höre ich immer häufiger ein Wort: Fachkräftemangel. Der zweite Fortschrittsbericht zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung hat das zu Beginn des Jahres 2014 eindrücklich gezeigt: Bei 53 Prozent der Mittelständler hat der Mangel an Fachkräften im vergangenen Jahr zu Umsatzeinbußen von geschätzten 31 Milliarden Euro geführt.
Unternehmen brauchen gut ausgebildete Männer und Frauen als Fachkräfte. Mehr denn je aufgrund des demografischen Wandels, und zwar zunehmend unabhängig von den aktuellen Konjunkturaussichten.
Unternehmen können diese Fachkräfte nur dann gewinnen und halten, wenn sie Vereinbarkeit in der Arbeitswelt möglich machen. 84 Prozent der Studierenden sagen, dass ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig oder sogar sehr wichtig ist. Fast zwei von drei Befragten können sich nicht vorstellen, bei einem Unternehmen anzufangen, das auf ihre persönliche Lebenssituation nicht eingeht und entsprechende Arbeitszeitmodelle anbietet. Die "Fachkräfte von morgen" wollen deutlich mehr Entscheidungsfreiraum in Bezug darauf, wo, wann und wie sie arbeiten werden.
Flexibilität ist dabei eines der Zauberworte. Flexible Arbeitszeiten sind mittlerweile für die Mehrheit der jungen Menschen ein Muss. Es geht also bei der Wahl des Arbeitsplatzes heute nicht nur um beruflichen Erfolg und ein gutes Einkommen – es geht um ein gutes Leben, auch mit Familie.
Arbeitgeber, die auf gut ausgebildete Männer und Frauen angewiesen sind, haben ein Interesse daran, ihre Personalpolitik daran auszurichten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, ist handfeste Wachstumspolitik. Flexible Arbeitszeitregelungen sind heute Wettbewerbsfaktoren wie Energie- oder Rohstoffkosten. Jedes Unternehmen, das bereit ist, Beruf und Familie besser vereinbar zu machen, verbessert seine eigenen Möglichkeiten.
V.
Viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in den letzten 10 Jahren zu einem Topthema bei den Personalverantwortlichen in Unternehmen geworden. Laut einer Umfrage der Hertie-Stiftung aus dem Jahr 2003 hat damals nur eine Minderheit von 10 Prozent der Unternehmen eine vereinbarkeitsbewusste Personalpolitik als strategisches Managementinstrument begriffen.
Heute hat sich das gedreht. Der Anteil der Firmen, die ihrer Belegschaft überhaupt keine Angebote zur Vereinbarkeit unterbreiten, ist verschwindend klein. Die Unternehmen haben sich bewegt in den letzten 10 Jahren. Sie haben dazugelernt, und zwar aus eigenem Interesse. Ohne Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die neue Fachkräftegeneration nicht mehr zu haben.
VI.
Ich habe mich kürzlich mit Personalverantwortlichen von ganz unterschiedlichen Unternehmen getroffen, die beim Unternehmensprogramm "Erfolgsfaktor Familie" meines Ministeriums mitmachen. Der Mittelstand ist in diesem Unternehmensprogramm dabei – darüber bin ich sehr froh - aber natürlich auch Großunternehmen.
Die sogenannten "Botschafter" geben die Idee von Familienfreundlichkeit weiter, aber nicht im Sinne eines Werbens für den guten Zweck. Sie wissen aus eigener Erfahrung, was Familienfreundlichkeit bringt. Sie können davon berichten. So helfen sie anderen Unternehmen mit ganz konkreten Hinweisen. Familienfreundlichkeit und Vereinbarkeit sind in der Personalpolitik angekommen.
Die Unternehmen wissen, worum es geht, die Mehrzahl macht etwas, auch der Mittelstand. Wir sind auf einem guten Weg, auch wenn es in der Umsetzung sicherlich noch viele Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
VII.
Gleichzeitig ist es nötig, neu zu denken und weiterzudenken. Die Unternehmensberatung Roland Berger fordert ganz aktuell einen Qualitätssprung bei der Vereinbarkeit. Denn während die Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeiten und Telearbeit und Betriebskitas die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leichter gemacht haben, ist in den Familien etwas Neues passiert. Eine leise Revolution. Immer mehr Väter nehmen sich Zeit für die Familie.
Neun von zehn Frauen und Männern zwischen 20 und 39 Jahren finden heute, dass Mütter und Väter sich gemeinsam um das Kind kümmern sollten. 81 Prozent sehen beide Partner für das Familieneinkommen in der Verantwortung. Frauen und Männer, Mütter und Väter wollen Familie und Beruf partnerschaftlich leben. Unternehmen merken und werden in Zukunft noch stärker merken, dass sie es mit einer neuen Generation Vereinbarkeit zu tun haben.
Angebote für Vereinbarkeit müssen die Väter stärker einbeziehen. Sie müssen partnerschaftlicher werden. Und damit bin ich bei der Familienarbeitszeit. Im Programmheft zum SZ-Wirtschaftsgipfel werde ich angekündigt als "junges Gesicht der SPD – hierfür vielen Dank – und "als Chefin des Familienressorts, die gerne eine staatlich unterstützte 32-Stunden-Woche für junge Eltern schaffen will". Fast richtig. Ich habe das Modell einer Familienarbeitszeit in die Debatte eingebracht. Aber um wie viele Stunden es geht und wie der Staat das unterstützen kann - darüber werden wir noch reden. Eins will ich allerdings klar und deutlich sagen: Eine Familienarbeitszeit, wie ich sie mir vorstelle, ist ein Vorteil für die Unternehmen.
VIII.
Ich will es zum Schluss noch einmal deutlich machen: Wir können vor dem Hintergrund von Fachkräftebedarf und demografischem Wandel auf die gut qualifizierten Frauen nicht verzichten. Nicht, wenn sie Kinder erziehen. Nicht, wenn sie pflegen. Wir müssen Beruf und Familie zusammendenken, und zwar für Männer und Frauen, Mütter und Väter.
Meine Botschaft an Sie ist deshalb folgende: Partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gut für die Familie und gut für die Wirtschaft. Mit einer modernen Familienpolitik und einer familienfreundlichen Unternehmenskultur können wir beides haben in diesem Land: Zeit für Familie und Erfolg für die Unternehmen.
Als Bundesfamilienministerin will ich meinen Teil dazu beitragen. Ich setze darauf, dass auch die Wirtschaft ihren Teil beiträgt: mit flexiblen Arbeitsbedingungen für die Männer und Frauen der neuen Generation Vereinbarkeit. Ich bin überzeugt, dass es uns zusammen gelingen kann, die Arbeitswelt zukunftsfähig zu machen, unser Land wirtschaftlich auf Erfolgskurs zu halten und unseren Wohlstand zu sichern. Moderne Familienpolitik und familienfreundliche Unternehmenspolitik ziehen an einem Strang.