Alt werden in Deutschland Neunter Altersbericht: Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen

In Deutschland leben rund 18,7 Millionen Menschen im Alter von 65 Jahren und älter - und diese Bevölkerungsgruppe wächst. Sie steht vor vielen Herausforderungen, aber auch vor Chancen, die mit dem demografischen Wandel und gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen. Dabei ist das Alter(n) in Deutschland von großer Vielfalt geprägt. 

Um die Rahmenbedingungen älterer Menschen für ein selbstbestimmtes und aktives Leben im Alter zu verbessern, stellt der Neunte Altersbericht die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen älterer Menschen in Deutschland dar und untersucht, ob die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe für alle in gleichem Maße gegeben sind. Darüber hinaus gibt er Anregungen dazu, wie die Teilhabechancen älterer Menschen gesichert und gestärkt werden können. Der Bericht besteht aus zwei Teilen, dem Sachverständigenbericht und der Stellungnahme der Bundesregierung. 

Die Altersberichte gehen auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. Juni 1994 (Drucksache 12/7992) zurück, der für jede Legislaturperiode einen Bericht zu einem alterspolitischen Schwerpunktthema fordert. Die Erstellung des Berichts erfolgt durch eine unabhängige Altersberichtskommission. 
 

Zentrale Aussagen des Berichts

  • Altern ist vielfältig: Um Altersdiskriminierung abzubauen, ist es wichtig, sich der Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen und der Diversität älterer Menschen bewusst zu machen und anzuerkennen, dass trotz dieser Vielfalt alle älteren Menschen den gleichen Anspruch auf Teilhabechancen haben.
  • Teilhabechancen, das heißt die Möglichkeiten, das eigene Leben im Alter selbstbestimmt zu gestalten, sind in Abhängigkeit von Alter, Bildung, Einkommen, Geschlecht, Migrationsstatus, sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität sozial ungleich verteilt. 
  • Die Überschneidung sozialer Ungleichheiten (Intersektionalität) kann zu gravierenden Benachteiligungen führen. Sie verstärken sich im Lebenslauf, sie verhindern Teilhabe im Alter und beeinträchtigen damit individuelle Potenziale und gesamtgesellschaftliche Chancen.
  • Gesellschaftliche Teilhabe für alle älteren Menschen ist in einer Gesellschaft des langen Lebens kein "Luxusgut", gerade in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen und Krisen. Die Teilhabe älterer Menschen birgt große Potenziale, zum Beispiel durch Engagement oder die Übernahme von Sorgeverantwortung.
  • Um Teilhabechancen für alle zu eröffnen, müssen gesellschaftliche Vielfalt anerkannt und soziale Ungleichheiten (unter anderem aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder Lebensweise) und Ageismus, die ungerechtfertigte, ungleiche Behandlung und Beurteilung älterer Menschen, abgebaut werden. Hierfür sind geeignete diversitätssensible strukturelle und politische Rahmenbedingungen notwendig, deren Gestaltung auf belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.
  • Hochaltrige Frauen sind durchgängig stärker benachteiligt, ebenso Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status, niedriger Bildung und Migrationshintergrund.
  • Ältere Menschen erfahren Benachteiligung durch Ignoranz, Bevormundung, Infantilisierung, Ausgrenzung, Missbrauch und Betrug. Sie stellen ageistisches Verhalten häufig nicht in Frage aufgrund von internalisierten Altersbildern. Ageismus kann die Anzahl von Handlungsoptionen, die älteren Menschen bei der Gestaltung ihrer Lebensführung offenstehen, verringern und Teilhabemöglichkeiten älterer Menschen einschränken.
  • Es sind passende rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen notwendig, um neue Ansätze in der Seniorenpolitik umzusetzen. Besonders relevant sind hierbei die vielfältigen Institutionen, Leistungen und Maßnahmen des Sozialstaats sowie Strukturen und Angebote der kommunalen Daseinsvorsorge.

Inhalte des Berichts

  • Der Sachverständigenbericht nimmt Menschen in der zweiten Lebenshälfte (50 Jahre und älter) in den Blick. Er beschreibt die Vielfalt der Potenziale, die sich im Alter ergeben, als auch die Ungleichheit der Teilhabechancen. Da dies ein weites Feld darstellt, ist der Bericht nicht abschließend: Er schließt einerseits Lücken, eröffnet andererseits aber auch neue. 
  • Das Einleitungskapitel stellt die grundlegenden Konzepte des Berichts vor, beginnend mit einer Diskussion der Begriffe "Teilhabe" und "Teilhabechancen" und deren Einordnung in die Modelle von Lebenslage und Verwirklichungschancen. Es wird eine intersektionale Perspektive auf Vielfalt und Ungleichheit und die Perspektive der Kommission auf Chancen und Barrieren für eine gleichberechtigte, selbstbestimmte und mitverantwortliche Teilhabe im Alter entwickelt. 
  • Die Kapitel 2 bis 5 widmen sich den aktuellen Lebenssituationen von Menschen in der zweiten Lebenshälfte, aus denen jeweils Potenziale und Handlungsoptionen abgeleitet werden. Sie beschäftigen sich mit zentralen Themen wie materielle Lage, Erwerbsarbeit, Sorgearbeit und gesellschaftliche Partizipation, Wohnen und Sozialraum sowie Gesundheit und Versorgung. 
  • Unter der Überschrift "Ageismus" wird deutlich, dass Handlungsmöglichkeiten und damit die Teilhabechancen vieler älterer Menschen eingeschränkt wird und deshalb verhindert und abgebaut werden sollte. Dabei durchzieht Ageismus nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche und ist deshalb für einen Bericht zum Leben im Alter zentral.
  • Der Altersbericht macht deutlich, dass die Sicherung einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe für alle älteren Menschen eine besondere Aufmerksamkeit für sozial benachteiligte Gruppen erfordert. Dazu gehören ältere Menschen mit Behinderungen, mit Migrationsgeschichte, ältere LSBTI* und weitere im Diskurs bislang eher unterrepräsentierte Gruppen, die sich in vulnerablen Lebenssituationen befinden. Ihre Teilhabechancen sind häufig gefährdet oder in unzureichendem Maße gegeben.
  • Mit Blick auf eine integrierte Politik für ein gutes Leben im Alter befasst sich der Bericht weiterhin mit den konzeptionellen und normativen Grundlagen, untersucht die bestehenden rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen und diskutiert Perspektiven für deren Weiterentwicklung.
  • Schließlich leitet die Kommission Empfehlungen ab, die sowohl Risiken als auch Potenziale im Alter beleuchten und Maßnahmen aufzeigen, die zu einem guten Altern in Zeiten des Wandels und vielfältiger Belastungen beitragen können.

Die Altersberichtskommission 

  • Prof. Dr. Martina Brandt (Vorsitzende), Technische Universität Dortmund
  • Prof. Dr. Antonio Brettschneider, Technische Hochschule Köln
  • Prof. Dr. Eva-Marie Kessler, Medical School Berlin
  • Prof. Dr. Susanne Kümpers, Hochschule Fulda 
  • Prof. Dr. Sonia Lippke, Constructor University Bremen gGmbH
  • Prof. Dr. Ralf Lottmann, Hochschule Magdeburg-Stendal
  • Prof. Dr. Klaus Rothermund (Stellvertretender Vorsitzender), Universität Jena
  • Prof. Dr. Liane Schenk, Charité Berlin
  • Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, Kooperierender Wissenschaftler/ Institutsleiter im Ruhestand des DZA Berlin
  • Prof. Dr. Andrea Teti, Universität Vechta
  • Prof. Dr. Dr. Hürrem Tezcan-Güntekin, Alice Salomon Hochschule Berlin

Bislang erschienene Berichte