Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen, am 21. Juni 2007 im Deutschen Bundestag zu "Jugendliche in Deutschland. Perspektiven durch Zugänge. Teilhabe und Generationengerechtigkeit", Berlin

Jugendpolitik spannt wie kaum ein anderes Politikfeld den Bogen von Heute in die Zukunft. Was muss eine gute Jugendpolitik leisten? Welche Phasen muss sie begleiten? Gibt es überhaupt den "typischen" Jugendlichen? Die Shell-Jugendstudie gibt uns einen Eindruck, wie er oder sie aussehen könnte: Er oder sie ist pragmatisch, will etwas erreichen, schätzt seine Familie und die größte Sorge ist, keinen Arbeitsplatz zu finden. Das sind die groben Umrisse, die uns Befragungen und Studien liefern.

Doch wir wissen: Die Altersspanne der 12- bis 20jährigen, von denen wir hier sprechen, bietet ein riesiges Spektrum an unterschiedlichen Lebenslagen, Problemen, Gefährdungen, Erfolgen. Deshalb muss aktivierende Jugendpolitik gleichermaßen Ressort- und Querschnittspolitik sein.

Die wichtigsten Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang sind für mich:

  • Chancengerechtigkeit,
  • Teilhabe und Integration,
  • und der Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Alle brauchen von Anfang an gleiche Chancen,  um ihre vielfältigen Fähigkeiten und Talente entwickeln zu können. Wir haben uns in der Jugendpolitik drei zentrale Handlungsschwerpunkte gesetzt:

1. Die  soziale und berufliche Integration von Jugendlichen muss gestärkt werden

Hier gilt zunächst: An den Übergängen dürfen Jugendliche nicht scheitern! Das sind vor allem die Schnittstellen von Schule, Ausbildung und Beruf.  Deshalb arbeiten wir z. B. ganz eng mit Schulen und Jugendhilfe zusammen, um so genannte "harten Schulverweigerer" durch eine 2. Chance zu einem Abschluss zu verhelfen.

Die soziale und berufliche Integration wird vor Ort entschieden. Also brauchen wir vernetzte Strategien. Eltern, Schulen, Ämter, Betriebe, Kammern und Arbeitsagenturen vor Ort müssen zusammenwirken. Diesen Ansatz verfolgt unser Modellprogramm "Lokales Kapital für Soziale Zwecke" (LOS) durch 5.000 Mikroprojekte Beschäftigungspotenziale in sozialen Brennpunkten eröffnet.

Und bitte keine Angebote von der Stange! Die Probleme sind so vielfältig und unterschiedlich, dass wir passgenaue, individuelle und maßgeschneiderte Angebote brauchen. Eine solche maßgeschneiderte Hilfe bieten die 200 gerade entstehenden Kompetenzagenturen für benachteiligte Jugendliche. Die Kompetenzagenturen aus der Modellphase haben es geschafft, dass 90 % der betreuten Jugendlichen eine berufliche Perspektive gefunden haben. Das ist auf den ersten Blick arbeits- und kostenintensiv, aber jeder investierte Euro zahlt sich später mehrfach aus, wenn die Jugendlichen zu leistungs- und verantwortungsbereiten Menschen heranwachsen.

2. Schwerpunkt: wir wollen die Zivilgesellschaft stärken und Beteiligung von Jugendliche - ihre Eigeninitiative stärken

Aus den Befragungen wissen wir: dass Werte wie Offenheit, Ehrlichkeit, Toleranz, Gewaltfreiheit - all das ist Jugendlichen nicht nur im Privaten wichtig. Sie setzen sich auch gesellschaftlich dafür ein. Auf der anderen Seite gibt es in der Jugend eine große Distanz und Skepsis gegenüber den Organisationen und Verbänden. Diese Jugendlichen wollen wir ebenso ansprechen, gerade auch junge Migrantinnnen und Migranten. Verantwortung übernehmen, sich für andere engagieren, - dazu braucht es Gelegenheiten und Räume.

Diese schaffen wir etwa mit

  • den bereits über 200 Mehrgenerationenhäusern,
  • mit generationenübergreifenden Freiwilligendiensten,
  • oder den Möglichkeiten, ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr zu leisten.

Zu diesem sozialen Lernen gehört es auch, Jugendliche für die Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft zu gewinnen. Die Bekämpfung von Extremismus jeglicher Art  ist ein gesamtgesellschaftliches, von allen demokratischen Kräften gemeinsam zu tragendes Vorhaben. Die Prävention muss bereits an den Wurzeln von Radikalisierungsprozessen ansetzen. Deshalb hat die Koalition den Kampf gegen den Rechtsextremismus in den Fokus eines neuen, auf Dauer angelegten Programms gestellt.

Es ist gut, das nicht zuletzt auch Abgeordnete aller Fraktionen mitgeholfen haben, hier eine gemeinsame Linie zwischen Bund, Ländern und kommunaler Ebene zu entwickeln. Wir brauchen auch das Engagement der Zivilgesellschaft, wir brauchen die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, angefangen beim Feuerwehrmann über die Lehrerin in der Schule, bis hin zum Bürgermeister in der Gemeinde. Hier sind alle gefordert, die unterschiedlichen staatlichen Ebenen, die Kommunen und Jugendverbände, die Schulen und Kirchen.

3. Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen

Jugend, das bedeutet Unbeschwert sein und Ausprobieren. Das ist spannend bis gefährlich und braucht deshalb Leitplanken. Das betrifft den Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung ebenso wie den vor Alkohol, Drogen und jugendgefährdenden Medieninhalten.

Wir wissen dass es in Deutschland Familien gibt, in denen Kindern Gefahr durch ihre eigenen Eltern droht, da diese vollkommen mit ihren eigenen Problemen überfordert sind. Hier müssen wir frühzeitig eingreifen können, Hilfesysteme müssen lückenlos ineinander greifen. Unser Nationales Zentrum Frühe Hilfen hat im April begonnen, das Wissen um gut funktionierende Frühwarnsysteme aufzubereiten und vor Ort den Aufbau von solchen frühen Hilfen zu unterstützen.

Im Jugendmedienschutz haben wir im Frühjahr zusammen mit NRW als ein Sofortprogramm zum wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor extrem gewalthaltigen Computerspielen gestartet.

Es basiert auf vier Säulen, die jetzt schon greifen:

  • der Verschärfung des Jugendschutzgesetzes
  • der Verbesserung des gesetzlichen Vollzugs
  • der Qualitätssicherung der Jugendschutzentscheidungen
  • und eine bessere Information der Eltern und Händler.

Darüber hinaus geht es darum, Jugendliche zu befähigen verantwortlich mit Medien, Computerspielen und Internet umzugehen. Deshalb stärken wir nicht nur die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen sondern auch die der Eltern und pädagogischen Fachkräfte.

Was den Schutz vor Drogen, Tabak und Alkohol betrifft,  so ist es unser vorrangiges Ziel, bei Jugendlichen den Einstieg in den Konsum zu verhindern. Das wichtigste ist das Vorbild der Erwachsenen! Daher habe ich mich sehr über das Nichtraucherschutzgesetz gefreut, das am 1. September dieses Jahres in Kraft tritt.

Schluss

Jugendzeit ist prägend und vergeht wie im Flug. Es ist die schwierige Zeit; in der wir Erwachsene einerseits standhaft sein müssen und gleichzeitig die engen Grenzen immer weiter stecken müssen, bis die Kinder unabhängig, hoffentlich selbstbewusst und verantwortungsfähig sind. Wir müssen in jeder Phase dafür sorgen, dass sie feste Wurzeln entwickeln und dennoch nach den Sternen greifen können.