Zunächst möchte ich Ihnen herzlich für die Einladung zu dieser Ausschusssitzung danken.
Ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen heute die gleichstellungspolitischen Schwerpunkte während der deutschen Ratspräsidentschaft vorstellen zu können. Es ist mir aber auch grundsätzlich ein Anliegen, mit Ihnen in Dialog zu treten, denn mir ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament sehr wichtig - nicht nur in Zeiten der deutschen Ratspräsidentschaft.
Dieser guten Zusammenarbeit, dem großen Engagement des Europäischen Parlaments und der finnischen Kolleginnen und Kollegen ist es zu verdanken, dass noch im Dezember die Verordnung zur Errichtung eines Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen verabschiedet werden konnte.
Damit ist der Weg frei für diese neue Einrichtung, die uns unterstützen wird in unserem Bestreben, die Gleichstellung der Geschlechter in Europa voranzubringen.
Außerdem konnten die Verhandlungen zu DAPHNE III zu einer guten Einigung gebracht werden. Die Fortsetzung der erfolgreichen Vorgängerprogramme zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen ist bis 2013 sichergestellt. Daphne III bietet auch finanziell bessere Rahmenbedingungen für alle Akteure.
Gute Konzepte und Programme werden durch Vernetzung und Erfahrungsaustausch in allen Mitgliedstaaten mehr und mehr nutzbar. Auch an dieser Stelle danke ich Ihnen für die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Rat.
Lassen Sie mich nun auf einige Schwerpunkte unserer Agenda im Bereich der Gleichstellung von Frauen und Männern eingehen. Unser Präsidentschaftsprogramm steht unter dem Motto "Den demografischen Wandel als Chance begreifen und Chancengleichheit für alle in Beruf und Gesellschaft fördern".
Mit dem demografischen Wandel und der Chancengleichheit stellen wir uns zwei zentralen Herausforderungen. Gleichstellungspolitisch geht es vor allem darum, Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Erwerbs- und Familienarbeit weiter zu fördern. Die Initiativen und Veranstaltungen der deutschen Präsidentschaft werden dazu europaweit Akzente setzen.
Ein zentrales Ereignis im Bereich der Gleichstellungspolitik ist das Informelle Treffen der Gleichstellungs- und Familienministerinnen und -minister vom 15. - 16. Mai in Bad Pyrmont.
Ich lade auch Sie, sehr geehrte Frau Zaborska, jetzt schon zu dem informellen Treffen ein.
Unter dem Motto "Gleiche Chancen für Frauen und Männer in der Erwerbs- und Familienarbeit machen Familien stark" werden sich die europäischen Ministerinnen und Minister vor allem vier Themen widmen:
- wie überkommene Rollenbilder von Frauen und Männern überwunden werden können,
- wie mehr Frauen in wirtschaftliche Führungspositionen gelangen,
- wie Allianzen mit der Wirtschaft zur Förderung der Gleichstellung und zur Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben beitragen können,
- und wie Frauen mit Migrationshintergrund beruflich und gesellschaftlichbesser integriert werden können.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Vorstellungen und Rollenleitbilder für Männer und Frauen in ganz Europa fundamental verändert. Frauen sind heute mindestens so gut ausgebildet wie Männer und sehen ihre Rolle ganz selbstverständlich auch im Beruf. Die Frage - und die Herausforderung - ist, dies mit Kinderwünschen zu verbinden.
Männer wiederum sehen sich nicht länger ausschließlich als Ernährer, sondern viel stärker auch als Erzieher ihrer Kinder. Mit diesen veränderten Rollen rückt das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz stark in den Vordergrund.
Mit dem neuen Elterngeld, das wir in Deutschland eingeführt haben, erhalten auch die Väter erstmals einen attraktiven Anreiz, sich in den ersten Lebensmonaten aktiv um die Betreuung des Kindes zu kümmern.
Die Gleichstellungs- und Familienministerkonferenz wird sich fragen:
- Wie sieht eine moderne Gleichstellungspolitikvor dem Hintergrund des Wandelsder Rollen und Rollenerwartungenvon Frauen und Männern aus?
- Was kann eine nachhaltige Familienpolitik tun,um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen?
- Welche Chancen bieten positive Anreize zur partnerschaftlichen Teilung der Elternzeit?
Wir werden dazu die Schlussfolgerungen der finnischen Ratspräsidentschaft zu Männern und Gleichstellung aufnehmen, die im Dezember 2006 vom EPSCO-Rat einstimmig angenommen wurden. Die Rollen von Frauen und Männern und die Rahmenbedingungen in Beruf und Familie müssen so zusammenpassen, dass Kinderwünsche erfüllbar, Berufs- und Familienleben vereinbar sind - für Frauen wie für Männer.
Zu den veränderten Rollenbildern von Frauen gehört nicht nur der Beruf als solcher, sondern auch die Karriere, der berufliche Aufstieg. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist in den vergangenen Jahren langsam, aber kontinuierlich gestiegen. Frauen starten ihre berufliche Laufbahn mit dem gleichen Bildungsstand wie Männer.
Aber zu wenige kommen oben an. Zu viele bleiben stecken. Die Ursachen - eine davon ist sicherlich die Balance von Familie und Beruf - standen im Mittelpunkt der Gleichstellungsministerkonferenz 2006 in Helsinki.
Inzwischen sind es aber auch die aktiven Väter, deren Karriereaussichten ins Hintertreffen geraten. Wer als Mann einige Jahre Erziehungszeit nimmt oder sich im Beruf auch an den Bedürfnissen der Familie orientiert, muss befürchten, nach der Familienphase den Anschluss an die Karriere der Kollegen verpasst zu haben.
Hier etwas zu bewegen, geht nicht ohne die Wirtschaft. Eine familienfreundliche Arbeitswelt ist ein wesentlicher Teil nachhaltiger Familien- und Gleichstellungspolitik und leistet zugleich einen wichtigen Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft - gerade auch angesichts der demografischen Veränderungen.
Deshalb steht im Mittelpunkt der Diskussion auch die Frage, wie wir Familienfreundlichkeit und Gleichstellung durch strategische Allianzen von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften befördern können.
Meine Damen und Herren,
das vierte Thema des Informellen Gleichstellungsministertreffens nimmt die wachsende Gruppe von Frauen mit Migrationshintergrund
in den Blick. Hinter dem Begriff "Migration" verbergen sich ganz unterschiedliche Menschen, Situationen und Vorstellungen.
Frauen, insbesondere der zweiten und dritten Migrationsgeneration, orientieren sich häufig an den Rollenleitbildern von Frauen der Aufnahmegesellschaft. Sie wollen eine qualifizierte Berufsausbildung und Familie und Beruf verbinden. Viele Männer mit Migrationshintergrund scheinen sich eher an den tradierten Rollenleitbildern ihres Herkunftslandes zu orientieren. Mit diesen unterschiedlichen Wegen und Geschwindigkeiten der Integration müssen wir uns auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren,
beim informellen Treffen der Gleichstellungs- und Familienministerinnen wollen wir auch den Anstoß für eine Initiative zur Umsetzung der "Roadmap" geben.
Die zur Unterstützung der Lissabon-Strategie von der EU-Kommission vorgestellte "Roadmap", der Fahrplan zur Gleichstellung von Frauen und Männern (2006-2010), gibt die nächsten Ziele und Maßnahmen der EU zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern vor und ist auch für uns Grundlage und Wegweiser.
Zur Umsetzung der Roadmap planen wir eine gemeinsame Initiative mit den beiden anderen Mitgliedern der ersten Teampräsidentschaft, Portugal und Slowenien.
Wir wollen aus dem umfassenden Fahrplan einige Handlungsfelder herausgreifen, nämlich den Abbau von Geschlechterstereotypen, die Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben, insbesondere auch den Abbau der Lohnungleichheit, und die bessere Integration von Migrantinnen.
Die Teampräsidentschaft setzt damit einen deutlichen Akzent, dass die mit dem Fahrplan vorgelegte Selbstbindung der EU-Kommission durch die Mitgliedstaaten unterstützt wird. 18 Monate Teampräsidentschaft geben uns die Zeit, unsere gemeinsamen Ziele nachhaltig zu verfolgen.
Einer der sechs Schwerpunkte der Roadmap ist die Beseitigung aller Formen geschlechterbezogener Gewalt. Wir erarbeiten derzeit einen neuen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
In einem umfassenden Gesamtkonzept für alle Ebenen und Akteure der Gewaltbekämpfung spielt die europäische und internationale Zusammenarbeit - wie schon im letzten Aktionsplan - eine wichtige Rolle.
Wir werden in diesem Jahr auch die Europaratskonvention gegen Menschenhandel ratifizieren und die Umsetzung des EU-Aktionsplans gegen Menschenhandel weiter vorantreiben.
Zwei weitere gleichstellungspolitische Projekte der deutschen Ratspräsidentschaft will ich Ihnen noch kurz vorstellen.
Im Juni 2007 findet in Frankfurt am Main eine europäische Fachkonferenz zum Thema "Gender Budgeting" statt. Gender Budgeting meint, den Einsatz finanzieller Ressourcen gezielt daraufhin zu überprüfen, wie er sich auf Männer und Frauen auswirkt. Mit der Veranstaltung wollen wir diese Idee ausgehend von bereits umgesetzten Modellen innerhalb der Europäischen Union weiter diskutieren.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ich zu dieser Veranstaltung auch Mitglieder Ihres Ausschusses begrüßen könnte.
Außerdem widmen wir uns während unserer Präsidentschaft der Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform, die auf der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 beschlossen wurde. Seit 1999 haben die jeweiligen EU-Präsidentschaften Indikatoren zur Überprüfung der Umsetzung der Plattform in den verschiedenen Aktionsbereichen entwickelt. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft entwickelt Indikatoren zur Bildung und Ausbildung von Frauen.
Ein Schwerpunkt wird die akademische Ausbildung und Laufbahn von Frauen sein. Die Kluft zwischen dem Bildungsstand von Frauen einerseits und ihrem Anteil an wissenschaftlichen Führungspositionen andererseits wird auch hier wieder Thema sein.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich jetzt den Bogen zurück schlagen zum Motto unserer Präsidentschaft: "Den demografischen Wandel als Chance begreifen und Chancengleichheit für alle in Beruf und Gesellschaft fördern".
Der demografische Wandel ist ein Phänomen, das alle Mitgliedstaaten der EU elementar betrifft. Im Mittelpunkt der inhaltlichen Arbeiten unter deutscher Präsidentschaft stehen die Chancen der demografischen Entwicklung: Zum einen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potenziale Älterer.
Wir werden dazu eine Entschließung zum Thema "Beitrag der Älteren zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung", in den EPSCO-Rat im Februar einbringen.
Die zweite Stellschraube ist der demografische Trend zu weniger Kindern.
Wir brauchen gute Rahmenbedingungen, damit Menschen ihre vorhandenen Kinderwünsche tatsächlich realisieren können.
Mein Anliegen ist es, dass wir unter deutscher Präsidentschaft eine Europäische Allianz für Familien ins Leben rufen. Wir brauchen eine gemeinsame Plattform für einen Meinungs- und Informationsaustausch der Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Europäischen Kommission im Themenfeld familienfreundliche Maßnahmen. Und natürlich benötigen wir dafür auch Ihre Unterstützung.
Wir streben an, dass der Europäische Rat im Frühjahr 2007 unsere Initiative einer Europäischen Allianz für Familien bestätigt. Beim EPSCO-Rat im Mai wollen wir in die konkrete Umsetzung einsteigen. Die Allianz soll als ein nachhaltiges Projekt verankert werden.
Die Europäische Allianz für Familien ist eng mit der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichstellung verknüpft. Denn die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Verbesserung der Chancengleichheit im Erwerbsleben sind zwei Seiten einer Medaille, zwei Ziele, die wir gemeinsam verfolgen müssen.
Meine Damen und Herren,
die deutsche Ratspräsidentschaft fällt zusammen mit dem Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle - 2007. Das ist eine Gelegenheit, die wir hervorragend nutzen können, um der Gleichstellung der Geschlechter ein größeres Gewicht zu geben.
Ich möchte das Anliegen des Europäischen Jahres der Chancengleichheit positiv formulieren. Vielfalt in allen ihren Formen bringt uns in Europa voran, bereichert uns und macht uns stärker.
Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen und das Bewusstsein, dass Respekt, Anerkennung und Toleranz - Chancengleichheit im Alltag - selbstverständlich sind, wenn wir in Vielfalt zusammen leben wollen.
Wenn das Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle dieses Bewusstsein voranbringt, wird es ein gutes Jahr werden.
Ich werde zusammen mit Herrn Kommissar Spidla dieses Europäische Jahr im Rahmen einer großen Konferenz Ende Januar in Berlin eröffnen.
Ich würde mich sehr freuen, diejenigen aus Ihrem Kreis, die sich seit langem intensiv mit dem Thema beschäftigen und zur Konferenz eingeladen sind, dort zu treffen.
Meine Damen und Herren,
ich bin davon überzeugt, dass es uns während unserer Präsidentschaft gelingt, Impulse zu setzen und die europäische Zusammenarbeit in der Gleichstellungspolitik zu stärken. Dafür brauchen wir auch Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.