Rede von Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, am 18. September 2008 im Deutschen Bundestag anlässlich der Einbringung des Einzelplans 17 des Bundeshaushalts

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, 

wir werden auch im nächsten Jahr wieder in Familien investieren! Gegenüber der Finanzplanung wächst der Einzelplan 17 um 410 Millionen Euro. Unsere Aufgabe in der Familienpolitik ist es, immer wieder den Blick für die Frage  zu schärfen: Wie können wir Familien, wie können wir Kindern und Jugendlichen Teilhabe, Selbstständigkeit und Entfaltung ihrer Fähigkeiten ermöglichen?

Dazu sind in verschiedenen Lebensphasen und unterschiedlichen Lebenssituationen differenzierte Instrumente nötig. 

Wir haben den Etat für das Elterngeld gegenüber 2008 um 135 Millionen Euro angehoben. Nicht nur wegen der Konjunktur, die bessere Einkommen für junge Familien und damit eine höhere Einkommensersatzleistung mit sich bringt. Sondern auch und vor allem weil die Geburtenrate gestiegen ist. Das ist ein starker Vertrauensbeweis der jungen Menschen in unser Land, den wir nicht enttäuschen dürfen.

Was mich besonders freut, ist die wachsende Akzeptanz der Partnermonate bei den jungen Vätern. Bei der Einführung des Elterngeldes lag die Zahl der Väter die Elternzeit nahm, bei 3,5 Prozent. Mittlerweile nimmt in 16 Prozent aller Elterngeldhaushalte ein Vater Elternzeit - Tendenz weiter steigend! Das hilft nicht nur, das Bild der Väter in unseren Köpfen zu verändern, sondern das ist auch ein riesen Gewinn für die Kinder ihren Vater hautnah zu erleben!

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist die folgerichtige nächste Investition. Gerade auf den Anfang kommt es an, wenn die ersten Weichen für Bildungschancen für alle Kinder gestellt werden. Der nächste entscheidende Schritt ist der Übergang von Schule in den Beruf. Hier sind viele Akteure gefragt: die Länder, die Wirtschaft, die Bundesagentur für Arbeit...

Wir haben die Aufgabe genau hinzuschauen, wenn Jugendliche sich besonders schwer tun und im Regelsystem verloren gehen. Deshalb verstärken wir 2009 die jugendpolitischen Leistungen für sozial benachteiligte Jugendliche und für junge Migrantinnen und Migranten. Da geht es um eine zweite Chance für harte Schulverweigerer. Es geht um bessere Vernetzung der Jugendsozialarbeit mit der Schule. Es geht auch um den Übergang von Schule in den Beruf. Mit ESF und Kofinanzierung  setzen wir dafür mehr als 180 Millionen Euro ein.

Die Förderung des ZivilEngagements soll mit dem Haushalt 2009 um 2 Millionen Euro auf dauerhaft 12 Millionen Euro aufgestockt werden. Das ist gut angelegtes Geld. Bürgerschaftliches Engagement verändert sich: Die Anzahl der Vereine sinkt, Bürgerstiftungen und Unternehmensaktivitäten steigen. Darauf müssen wir reagieren, denn viele wollen sich engagieren, aber es fehlt der richtige Impuls.

Wir haben den Einzelplan 17 noch an einer anderen Stelle aufgestockt: Für den Ausbau des Kinderzuschlags brauchen wir mehr als 253 Millionen Euro zusätzlich. Auch bei niedrigen Einkommen muss gelten: Arbeit lohnt sich. Der Kinderzuschlag wirkt gegen Kinderarmut und ist gleichzeitig ein arbeitsmarktpolitischer Anreiz. Wir erreichen mit dem neuentwickelten Kinderzuschlag im Zusammenspiel mit der Wohngeldreform eine Viertelmillion Kinder. Das sind 150.000 Kinder mehr, die so aus Hartz IV rauskommen. Das Ziel ist immer: Familien unabhängig machen, dass sie auf eigenen Füßen stehen können, dass sie die Kinder haben können, die sie sich wünschen und diese Kinder gut ins Leben begleiten können. 

Jetzt diskutieren wir die Erhöhung des Kindergeldes. Das ist richtig und das ist notwendig! Das Kindergeld für das erste und zweite Kind ist seit 2001 nicht mehr erhöht worden. Für das dritte Kind und die folgenden Geschwister ist das Kindergeld seit 1995 nicht mehr erhöht worden! Dabei sind es gerade die kinderreichen Familien, die auf das Kindergeld angewiesen sind.

Sie haben unvermeidbare Fixkosten. Sie brauchen die größere Wohnung, mehr Heizung, mehr Lebensmittel, mehr Kleidung, mehr Schulmaterial, die Waschmaschine läuft häufiger... Das kann man nicht nur durch mehr Arbeit erwirtschaften. Da ist das Kindergeld unverzichtbar. In vielen europäischen Ländern gibt es -und in Deutschland gab es lange aus gutem Grund deswegen ein gestaffeltes Kindergeld! Ich halte das für richtig. Denn Kinderreichtum darf nicht zu Armut führen!

Nun hören wir in diesen Tagen öfter den Satz: jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein. Wer würde da nicht auf den ersten Blick wohlwollend nicken? Alle! Außer dem Finanzminister! Den kostet das 15 Milliarden Euro. Warum?

Weil Politik bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt: Die Wirklichkeit ist: Keineswegs zahlt der Staat für jedes Kind gleich, weil er in verschiedenen Lebenssituationen differenziert Teilhabe und Gerechtigkeit ermöglicht. Wer Arbeitslosengeld II bezieht und Kinder hat, erhält für seine Kinder kein Kindergeld, sondern das höhere Sozialgeld. Aus gutem Grund: denn hier geht es um das Existenzminimum des Kindes. Das sind je nach Alter des Kindes von 211 bis 281 Euro.

Diejenigen, die den Kinderfreibetrag im Steuerrecht heute voll ausschöpfen, erhalten eine Entlastung von bis zu 230 Euro! Aus gutem Grund, weil diejenigen die Kinder erziehen im Vergleich zu denjenigen, die ein gleich hohes Einkommen haben, aber keine Kinder erziehen, nicht so hoch besteuert werden dürfen. Auch eine Frage des Existenzminimums. Nur die Familien in der Mitte, die Familien mit kleineren und mittleren Einkommen, erhalten das reine Kindergeld von 154 Euro. So, und wenn man das alles auf ein Niveau bringen will, kann man das ja wohl nicht auf das niedrigste Niveau runterstufen, sondern auf das höchste gemeinsame Niveau, und das würde 15 Milliarden kosten. Eine Illusion, die mit der Realität wenig zu tun hat.

Nun steht auch der Vorschlag im Raum, einen Kindergrundfreibetrag einzuführen. Ich kann Neugierige da nur warnen. Das ist ein Systemwechsel mit erheblichen Nebenwirkungen. Vor allem mit erheblichen unerwünschten familienpolitischen Nebenwirkungen. Der Wechsel vom heutigen Freibetrag zu einem Grundfreibetrag heißt: Alle mit Kindern, die Steuern zahlen, müssen in Zukunft MEHR Steuern zahlen, als heute. Das kann doch wohl nicht das Ziel sein!

Das Absurde ist: Je mehr Kinder, desto stärker die Auswirkungen dieses Systemwechsels. Der vorgeschlagene Grundfreibetrag schneidet das Einkommen unten ab. Vorweg. Das heißt: Mit jedem Kind steigt man bei der Besteuerung des verfügbaren Einkommens in einen HÖHEREN TARIF ein. Mit jedem Kind steigt der Steuersatz. Nebenbei steigt auch der Soli und die Kirchsteuer - nur für Familien mit Kindern!! Was hat das denn noch mit Steuergerechtigkeit zu tun, wenn Kinder steuererhöhend wirken! Das werden wir nicht zulassen! Wer nun darüber nachdenkt, diese Steuermehreinnahmen - die sich durch diesen Systemwechsel bei den Familien ergeben - in die Kindergelderhöhung zu stecken, dem gebe ich mit auf den Weg: Eine Kindergelderhöhung ist klasse! Aber nicht durch eine bloße Umverteilung zu Lasten der Familien.  

Der aktuelle Allensbach-Familienmonitor hat ergeben: Das Kindergeld ist die angesehenste familienpolitische Leistung in der Bevölkerung!Und die Bevölkerung hat recht! Diese Leistung ist armutsreduzierend und sie stärkt die Familien in der Mitte der Gesellschaft. Und was die Bevölkerung aus dem eigenen Erleben richtig einschätzt, wird von der Wissenschaft bestätigt. Das Kindergeld wirkt. Das Kindergeld stärkt Familien und vermeidet Armut: gerade bei Alleinerziehenden, gerade bei Familien mit kleinen Einkommen. Wenn Ende September der Existenzminimumbericht vorliegt, werden wir über den Spielraum entscheiden können. Doch die Erhöhung ist für mich Pflicht und nicht Kür.

Vielen Dank!