Rede von Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, am 27. November 2008 anlässlich der 2. und 3. Lesung des Einzelplans 17 im Deutschen Bundestag

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

wir beraten den Haushalt 2009.

Trockenes Zahlenwerk - dahinter spiegelt sich aber die unübersehbaren Veränderungen in der Gesellschaft. In Zeiten, in denen Worte wie Finanzkrise und Wirtschaftsschwäche dominieren, münden viele Befunde zur Situation unserer Gesellschaft unweigerlich in die Frage, was uns in Deutschland zusammenhält.

Manche dieser Befunde sind Besorgnis erregend:

  • Rücksichtslosigkeit gegenüber unterschiedlichen Entwicklungschancen von Jugendlichen.
  • Extremistische Einstellungen oder die Bildung von Parallelgesellschaften.
  • Gewalt gegen Kinder.

Andere Befunde sind ermutigend:

  • Der wachsende Mut, Familie zu gründen, Kinder zu haben.
  • Die hohe Bereitschaft zum freiwilligen Engagement, gerade bei den älteren Menschen.
  • Die spürbare positive Veränderung gegenüber jungen Vätern.
  • Der Zusammenhalt der Generationen - allen Unkenrufen zum Trotz.

Die Politik ist aufgefordert, da anzusetzen, wo sie eine offene Gesellschaft und ihren Zusammenhalt stärken kann. Das spiegelt der Etat 2009, der ja auch Ergebnis der Arbeit in dieser Legislatur ist, wider.

Am Anfang heißt es:

  • Hürden abbauen, damit Menschen überhaupt für sich die Perspektiven sehen, Familie zu gründen und zu leben.

Dafür steht synonym das Elterngeld. Inzwischen auf 4,4 Miiliarden Euro angewachsen,

  • weil mehr Kinder geboren werden,
  • weil mehr junge Väter Elternzeit nehmen.

Etwas Besseres kann diesem Land doch gar nicht passieren!

Genauso eindeutig ist der Kinderzuschlag - erhöht inzwischen auf 374 Millionen Euro - , weil dadurch nicht nur 250.000 Kinder aus Hartz IV geholt werden, sondern weil das Signal an ihre Eltern unmissverständlich und richtig ist:

  • Arbeit ist immer besser als Nichtarbeit.
  • Versucht wenigstens euer eigenes Einkommen zu verdienen auch wenn es nicht für alle Kinder reicht.
  • Deswegen soll keiner in Hartz IV rutschen.

Vorsorgende, ermutigende Politik hat die Aufgabe, Menschen in all ihren Lebensabschnitten und Lebenssituationen die Möglichkeit zu geben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und sich selbst für diesen Zusammenhalt einzusetzen. Das gilt für Bildungschancen für alle Kinder - ebenso wie für Erwerbschancen ihrer Eltern. Deshalb hat die große Koalition eine Bresche geschlagen für den Ausbau der Kinderbetreuung. Das ist in den Kommunen jetzt angekommen. Für das Jahr 2008 sind bereits 333 Millionen Euro angemeldet, obwohl das gesamte Gesetzespaket gerade mal ein paar Wochen alt ist. Wir haben in diesem Haushalt zusätzliche Mittel für Qualifikation von Tagesmüttern und betriebseigene Kitas (Dank an die streitbaren Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker, die die Haushaltspolitiker beim Thema Kinderbetreuung mitgerissen haben). Das ist richtig gut angelegtes Geld!

Die globalisierte Gesellschaft ist für viele Menschen unübersichtlich; die selbstverständliche Vernetzung bietet Chancen, macht aber auch Angst. Insbesondere im eher bildungsfernen Milieu fühlen sich viele ausgeschlossen von Aufstiegsmöglichkeiten und vernachlässigt von der Gesellschaft. Das ist auch nicht nur so ein Gefühl, dahinter stehen reale Barrieren für manche Kinder und Jugendliche. Deshalb wollen wir gezielt jungen Menschen, die Probleme haben, die Schule erfolgreich abzuschließen eine 2. Chance geben. Oder wenn sie ihren Weg in die Berufswelt nicht finden, in den Kompetenzagenturen auf ihre Stärken schauen. Gerade dann, wenn sie unter einer dicken Schicht von Schwächen, Unzulänglichkeiten und negativen Lebenserfahrungen versteckt sind.

143 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds stellen wir für die insgesamt 400 Standorte Schulverweigerung und Kompetenzagenturen in den nächsten drei Jahren zu Verfügung. Es geht um Befähigung, um die Kompetenz, eigene Fähigkeiten zu erkennen und zu entwickeln, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden. 53 Millionen Euro stehen für die Integration von Jugendlichen aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans zur Verfügung. Ich freue mich sehr und bin dankbar dafür, dass es uns gelungen ist, diese Mittel zusätzlich mit einer Million Euro zu verstärken. Wir brauchen die jungen Menschen in unserem Land.

Aber ebenso drastisch fordert der demographische Wandel eine Neubewertung

  • der Fähigkeiten,
  • der Erfahrungen
  • und der Verantwortung älterer Menschen,

die in absehbarer Zeit eine Mehrheit der Bevölkerung bilden werden.

  • Wir wollen mehr bürgerschaftliches Engagement.
  • Jeder kann mitmachen, egal woher er kommt!

Vom Sofa aufstehen muss schon noch jeder alleine, aber dann muss es auch die richtigen Angebote geben. Dazu gehört der jetzt erweiterte "Freiwilligendienst aller Generationen".

  • Es muss Spaß machen, sonst kommt keiner.
  • Und es muss gewürdigt werden, sonst bleibt keiner!

Und deshalb sagt unsere Initiative Zivilengagement deutlich: Schiebt die Puschen in die Ecke, wir brauchen Euch! Alter ist was Herrliches, sagt Martin Buber, wenn man nicht verlernt hat, anzufangen!