Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF sind weltweit über 200 Millionen Frauen und Mädchen betroffen und drei Millionen Mädchen bedroht, vor allem im nördlichen Afrika, aber auch in südostasiatischen Ländern und im Mittleren Osten.
In Deutschland ist die Zahl weiblicher Genitalverstümmelung (englisch: female genital mutilation, kurz: FGM) seit 2017 stark angestiegen. Schätzungsweise sind zwischen 2785 und 14.752 Mädchen, die in Deutschland leben, von weiblicher Genitalverstümmelung bedroht. Im Vergleich zu den im Februar 2017 veröffentlichten Zahlen ist das ein Anstieg von bis zu 160 Prozent. Mädchen aus den Herkunftsländern Somalia, Eritrea, Ägypten, Nigeria und Irak sind besonders bedroht.
An die 67.000 Frauen, die derzeit in Deutschland leben, sind von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Im Vergleich zu den Daten, die das Bundesfamilienministerium 2017 erhoben hat, ist das ein Anstieg um 40 Prozent. Die meisten dieser Frauen stammen aus den Herkunftsländern Somalia, Eritrea, Indonesien, Ägypten und Irak.
Formen weiblicher Genitalverstümmelung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet vier Formen weiblicher Genitalverstümmelung:
- Klitoridektomie: Entfernung der Vorhaut mit der ganzen oder einem Teil der Klitoris,
- Exzision: Entfernung der Klitoris mit teilweiser oder totaler Entfernung der kleinen Schamlippen,
- Infibulation: Entfernung der ganzen oder eines Teils der äußeren Genitalien und Verengung oder Verschließung der vaginalen Öffnung
- andere Formen von medizinisch nicht erforderlicher Verletzung der äußeren und/oder inneren weiblichen Geschlechtsorgane wie zum Beispiel Piercing, Einschnitt oder Einriss der Klitoris.
Die Vornahme der weiblichen Genitalverstümmelung kann zu schweren seelischen und körperlichen Schäden führen. Frauen sind damit ihr Leben lang belastet. Bei der Behandlung von betroffenen Mädchen und Frauen ist für medizinische Fachkräfte neben einem guten Fachwissen auch eine besondere Sensibilität für die soziale und psychische Situation der Betroffenen erforderlich. Daher hat die Bundesärztekammer bereits im Jahr 2005 Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung herausgegeben und diese 2016 aktualisiert.
Am 1. Januar 2020 ist die Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen in Kraft getreten. Erstmalig ist dort geregelt, dass die besonderen Belange von Frauen, die von einer weiblichen Genitalverstümmelung betroffen sind, zu berücksichtigen sind.
Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Nichtregierungsorganisationen
Entscheidend für die Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland ist es, lokale Schlüsselakteure einzubeziehen und eine mit den betroffenen Kulturkreisen zusammenzuarbeiten. Deshalb wurde unter Leitung des Bundesfamilienministeriums eine Arbeitsgruppe aus Bund, Ländern und Nichtregierungsorganisationen (NRO) ins Leben gerufen. Ihr gehören Vertreterinnen und Vertreter von fünf Bundesressorts an - dem Bundesinnenministerium, Auswärtigen Amt, Bundesjustizministerium, Bundesgesundheitsministerium sowie dem Bundesentwicklungsministerium.
Die Arbeitsgruppe arbeitet eng mit Vertretungen des Stabs der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der Länder, der Bundesärztekammer und von Nichtregierungsorganisationen zusammen. Gemeinsam werden Maßnahmen zum Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung zum Beispiel in den Bereichen Prävention und Aufklärung konzipiert und aktuelle Entwicklungen erörtert und diskutiert.
Gesetzliche Regelungen
Die Bedrohung durch Genitalverstümmelung ist als geschlechtsspezifische Verfolgung, die der Betroffenen auch durch nichtstaatliche Akteure drohen kann, im Asylverfahrensgesetz als Fluchtgrund anerkannt.
Wegen der Schwere der Rechtsverletzung wurde im September 2013 mit § 226a Strafgesetzbuch ein Spezialstraftatbestand geschaffen, der die Straftat der Verstümmelung weiblicher Genitalien zum Verbrechen heraufstuft. Eine Ausdehnung der Anwendbarkeit dieses Tatbestands auf weitere ausschließlich im Ausland begangene Taten wird derzeit erwogen.
Im Paßgesetz ist zudem eine Regelung enthalten, die die Entziehung des Passes vorsieht, wenn eine Person eine weibliche Genitalverstümmelung im Ausland plant.
Bundesweites Hilfetelefon
Unterstützung erhalten Betroffene von Genitalverstümmelung auch über das bundesweite Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" unter der kostenlosen Telefonnummer 08000 116 016. Neben den betroffenen Frauen können sich auch Angehörige, Freunde und Menschen aus dem sozialen Umfeld sowie Fachkräfte an das Hilfetelefon wenden. Das barrierefreie, anonyme und mehrsprachige Angebot steht rund um die Uhr zur Verfügung.