Liest man die VN-Kinderrechtskonvention, klingt vieles selbstverständlich. Es gibt in Deutschland ein gut funktionierendes Gesundheitswesen, es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Tagesmutter beziehungsweise einem Tagesvater für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, es gilt die Schulpflicht. Und es gibt Spielplätze und Sporthallen, Musikschulen, Proberäume und Jugendzentren, Parks und Skate-Anlagen.
Doch auch in Deutschland stoßen die Kinderrechte schnell an Grenzen, wenn andere Interessen und Rechtspositionen berührt werden. Meistens die von Erwachsenen, aber auch die anderer Kinder. Ballspielen ist verboten, Spielplätze können nicht gebaut werden oder nur dann, wenn eine Lärmschutzmauer darum herum gebaut wird. Die beliebte, seit Jahren genutzte Halfpipe ist plötzlich bedroht, weil nebenan Eigentumswohnungen errichtet werden. Beim Vermieter gehen Beschwerden ein, dass Kinderwagen im Hausflur abgestellt werden und die Gemeinschaftsmülltonnen schon Tage vor der Leerung voller Windeln sind, die von einer kinderreichen Familie oder von einer Tagesmutter in der Wohnanlage stammen. Die Autos von Eltern, die ihre Kinder zur Kita oder zur Schule bringen, verstopfen in den Stoßzeiten die Straßen und Parkplätze der Umgebung. Der Umbau von Straßen zu Spielstraßen steht dem Interesse von - möglicherweise gehbeeinträchtigten - Nachbarn an möglichst wohnungsnahen Parkplätzen entgegen. Die Nachbarn stören sich an der Bandprobe im benachbarten Keller, die Konzerte im Jugendclub können nur unter strikten Auflagen fortgeführt werden. Andere Eltern, Lehrer oder die Schulleitung sperren sich dagegen, dass ein behindertes Kind in die Klasse kommt.
Kindeswohl hat Vorrang
Die VN-Kinderrechtskonvention gibt eine Leitlinie zur Lösung solcher Konflikte vor: Sie verpflichtet in ihrem Artikel 3 Gerichte, Verwaltungsbehörden, öffentliche oder private Einrichtungen der sozialen Fürsorge und Gesetzgebungsorgane auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen, bei allen Entscheidungen und Maßnahmen das Kindeswohl und die Interessen von Kindern als einen vorrangigen Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Dieses sogenannte Kindeswohlprinzip ist als Abwägungs- und Begründungsregel zu verstehen. Kindesbelange haben nicht immer Vorrang. Wer Kindesbelange aber als nachrangig bewertet, muss dies sachlich begründen.
Kinder müssen beteiligt werden
Ein weiteres zentrales Kernprinzip der VN-Kinderrechtskonvention ist das subjektive Recht des Kindes auf Beteiligung und angemessene Berücksichtigung seiner Meinung. Kinder müssen entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife beteiligt werden und ihre Interessen bei allen staatlichen Entscheidungen maßgeblich Berücksichtigung finden. Nur so ist gewährleistet, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen in unserem Staat ausreichend vertreten sind und geachtet werden.
Kein Kind soll Angst haben
Kinder sollen geschützt aufwachsen. Dem tragen die Rechte auf Schutz der VN-Kinderrechtskonvention Rechnung. Auch hier sind alle gefordert, sensibilisiert zu sein und andere zu sensibilisieren. Diskriminierungs-, Mobbing- und Gewalterfahrungen prägen Kinder und Jugendliche - oft ein Leben lang. Es geht dabei nicht nur um Gewalt und Missbrauch. Erwachsene sind auch gefordert, wenn es um Alltagsprobleme geht: Kein Kind darf Angst haben, zur Schule zu gehen, weil es dort von der Mitschülerschaft gemobbt, verprügelt oder mit übler Nachrede in sozialen Netzwerken konfrontiert wird.