SPIEGEL: Frau Paus, diese Woche hat ein Video von Ihnen für Aufregung gesorgt - da sah es aus, als hätten Sie einen Blackout, ausgerechnet beim Thema Israel. Was war da los?
Paus: Ich wurde von Reportern konfrontiert mit einer Forderung aus der Union. Die Frage war, ob die Anerkennung des Existenzrechts Israels Einbürgerungsvoraussetzung sein sollte. Ich war mir sicher, dass wir das im Staatsbürgerschaftsgesetz, das wir im August im Kabinett verabschiedet haben, schon geregelt hatten. Aber ich hatte die Antwort nicht auf Anhieb parat und habe mir Zeit genommen, mich zu ordnen und nach der richtigen Formulierung zu suchen. Fakt ist: Im Gesetz steht bereits jetzt, dass antisemitisch motivierte Handlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Und das Bekenntnis zu dieser Grundordnung ist Einbürgerungsvoraussetzung. Das haben wir als Ampel jetzt präzisiert. Deutschland ist ja eine wehrhafte Demokratie. Insofern sehe ich keinen Handlungsbedarf.
SPIEGEL: Nach der Veröffentlichung des Videos wurde Ihnen von verschiedenen Seiten Israelfeindlichkeit vorgeworfen.
Paus: Das ist natürlich absurd. Das fand sich auf X, vormals Twitter, wo ohnehin teilweise ein schwieriges Debattenklima herrscht. Ich bin politisiert worden durch die deutsche Nachkriegsgeschichte und das "Nie wieder". Ich stehe unverbrüchlich an der Seite Israels. Deshalb führe ich Gespräche mit Jüdinnen und Juden, stelle mich mit anderen zusammen vor die Synagoge und rede mit unserem exzellenten Kompetenznetzwerk Antisemitismus, für das wir in den letzten Jahren die Mittel schon deutlich erhöht haben. Mich ärgert, dass durch verfehlte Anschuldigungen abgelenkt wird von den wichtigen Dingen. Ich würde mich freuen, wenn sich alle demokratischen Kräfte mit dem auseinandersetzen, was tatsächlich das Problem ist: nämlich einem manifestierten, leider breit verankerten Antisemitismus in Deutschland.
SPIEGEL: Das Video wurde auch in Zusammenhang gestellt mit Ihrem Abstimmungsverhalten 2019. Damals wurde fraktionsübergreifend im Bundestag ein Antrag beschlossen, der dafür plädierte, keine Projekte mehr zu fördern, die die israelfeindliche BDS-Bewegung unterstützen. Sie lehnten den Antrag ab. Gemeinsam mit anderen grünen Abgeordneten, erklärten Sie, man müsse den "BDS für seine Ablehnung einer Zweistaatenlösung kritisieren", könne aber nicht alle Beteiligten pauschal als antisemitisch bezeichnen. Sie wollten differenzieren. Wie sehen Sie das heute?
Paus: Damals war meine Hoffnung, dass man zu einer sachlichen Debatte beitragen kann. Im Nachhinein muss man sagen: Die letzten Jahre haben gezeigt, ich habe mich geirrt. Und heute stellt sich diese Frage auch nicht mehr. Wenn ich wieder die Möglichkeit hätte, würde ich mit dem Wissen von heute dem fraktionsübergreifenden Antrag zustimmen.
SPIEGEL: Heute würden Sie nicht mehr differenzieren wollen?
Paus: Israel ist in seiner Existenz bedroht und hat deswegen alles Recht, sich selbst zu verteidigen. Und die Bundesregierung unterstützt Israel dabei nach Kräften. Es ist klar, auf welcher Seite wir stehen. Daran darf es keinen Zweifel geben. Es wurden abscheuliche Gräueltaten an der israelischen Bevölkerung verübt. In der aktuellen Situation dürfen wir neben der Kriegssituation nicht die humanitäre Situation im Gazastreifen vergessen. Jedes Kind das stirbt, jedes zivile Opfer verursacht großes Leid. Auch das darf uns nicht kalt lassen. Der Bundeskanzler und die Außenministerin haben dazu das Wesentliche zum Ausdruck gebracht.
SPIEGEL: Auf deutschen Straßen entlädt sich derzeit antisemitischer Hass und Gewalt. Hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren zu wenig gegen Antisemitismus getan?
Paus: In der Breite ist nicht genug passiert. Es gibt Versäumnisse. Es ist jetzt an der Zeit, etwas zu ändern.
SPIEGEL: Aus Ihrem Ministerium werden im Programm "Demokratie leben!" 182 Millionen Euro an mehrere Projekte verteilt. Wie viele davon beschäftigen sich mit Antisemitismus?
Paus: Bei der Hälfte der Projekte werden im Rahmen der kommunalen Partnerschaften für Demokratie Handlungskonzepte für Demokratie und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - wie auch Antisemitismus - umgesetzt. Dazu kommt unser Kompetenznetzwerk gegen Antisemitismus mit Organisationen wie dem Anne-Frank-Zentrum oder der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden. Zusätzlich beschäftigt sich etwa ein Zehntel unserer Modellprojekte ausschließlich mit Antisemitismus. Dabei steht zweifelsohne der Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft aktuell im Fokus. Insgesamt gibt mein Haus rund 15 Millionen mit anderen Programmen zusammen gegen Antisemitismus aus.
SPIEGEL: Reagieren Sie denn auf die aktuelle Situation?
Paus: Wir sprechen mit den Ländern darüber, welcher zusätzliche Bedarf besteht. Gerade fühlen sich zum Beispiel viele Schulen überfordert. Die aktuelle Situation zeigt, wie wichtig das geplante Demokratiefördergesetz ist. Es soll zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Extremismus einsetzen, verlässlich fördern. Und, die Modellprojekte von "Demokratie Leben!" sollen jetzt endlich mehr finanzielle Sicherheit bekommen.
SPIEGEL: Aktuell blockiert sich die Ampel dabei aber selbst. Das Demokratiefördergesetz wurde bereits im März im Kabinett verabschiedet – und sollte vor der Sommerpause durch den Bundestag. Aber die FDP mauert – auch weil sie die Extremismusklausel wieder einführen will, bei der Projekte ihre Verfassungstreue unterschreiben müssen.
Paus: Es wird uns vorgeworfen, dass "Demokratie Leben!" grüne Klientelpolitik sei. Das stimmt nicht. Das Programm gab es schon vor meiner Zeit und ist somit auch nicht meine Erfindung. Weil das so wichtig ist, finanziere ich das aber weiter. Eine Extremismusklausel halte ich für überflüssig. Die Projekte sind bereits jetzt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. Es wird auch geprüft, dass diese sich daran halten. Und es gibt Sanktionsmöglichkeiten. Entscheidend ist, dass kein Extremismus finanziert wird. Bekenntnisklauseln helfen aus meiner Sicht nicht wirklich weiter, sondern wirksame Instrumente Verstöße auch zu ahnden. An einer entsprechenden Formulierung arbeiten wir aber in der Ampel. Ich appelliere an die Ampelfraktionen nun zügig das Gesetz zu verabschieden. Es wird dringend gebraucht. Damit können wir auch zukünftig die Arbeit gegen Antisemitismus stärken. Ich bin sicher, dass es dafür einen großen Konsens gibt.