tagesschau.de: Die Kindergrundsicherung gehört zu den zentralen Projekten Ihres Ministeriums. Doch ohne das Ja von Finanzminister Christian Lindner könnte es schwierig werden. Haben Sie ein mögliches Scheitern der Kindergrundsicherung eingepreist?
Lisa Paus: Diese Koalition hat die Kindergrundsicherung miteinander vereinbart. Es ist das zentrale sozialpolitische Projekt der gesamten Bundesregierung. Sowohl der Bundeskanzler als auch der Finanzminister haben klar gesagt, dass sie zur Kindergrundsicherung stehen. Über die genaue Ausgestaltung sind wir in intensiven Gesprächen, die Interministerielle Arbeitsgruppe zur Kindergrundsicherung tagt weiter.
Die Gesamtkosten der Kindergrundsicherung stehen dabei zurzeit nicht zur Debatte, weil die Berechnung zum soziokulturellen Existenzminimum fehlt. Außerdem wissen wir noch nicht, wie die Inflationsrate 2025 aussehen wird, also in dem Jahr, in dem die Kindergrundsicherung ausgezahlt werden soll.
Dass der Finanzminister darauf hinweist, dass über die Kosten noch nicht entschieden ist, finde ich richtig. Aber richtig ist auch, dass es die Kindergrundsicherung nicht zum Nulltarif geben wird. Denn es geht auch darum, Kinderarmut zu bekämpfen.
tagesschau.de: Das Ifo-Institut geht bei der Grundsicherung von Kosten von 27 bis 33 Milliarden Euro aus. Das ist mehr als doppelt so viel wie dem Familienministerium im aktuellen Haushalt zur Verfügung stehen. Was wird denn so teuer?
Lisa Paus: Wir gestalten eine Kindergrundsicherung auf der Basis des Koalitionsvertrages. Das ist keine Kindergrundsicherung der Grünen, sondern eine der Koalition. Wir planen einen Garantiebetrag, der sich an der Höhe des aktuellen Kindergeldes orientiert, also mindestens 250 Euro. Außerdem soll es einen einkommensabhängigen Zusatzbetrag geben.
Die Interministerielle Arbeitsgruppe, an der sieben Ressorts beteiligt sind, startet jetzt mit den genauen Berechnungen. Deswegen können wir heute seriös über Zahlen noch gar nichts sagen.
tagesschau.de: Was macht den Paradigmenwechsel bei der Kindergrundsicherung aus, von dem Sie immer sprechen?
Lisa Paus: Der Paradigmenwechsel besteht darin, dass wir eine strukturell verfestigte Kinderarmut in Deutschland systematisch angehen. Erstens durch die finanziellen Leistungen, zweitens durch die Bündelung der vielen Leistungen, bei denen selbst Expertinnen und Experten nicht mehr durchblicken, und drittens durch eine neue Servicepflicht des Staates.
Viele Familien wissen nicht, auf welche Sozialleistungen sie Anspruch haben. Wir wollen künftig alle Familien erreichen, die einen Anspruch haben. Heute nehmen bis zu 70 Prozent aller Familien, die einen Anspruch auf Leistungen haben, diesen nicht wahr. Wir wollen aus der Holschuld der Bürgerinnen und Bürger künftig eine Servicepflicht des Staates machen. Darin liegt ein großer Hebel. Dafür werden wir ein digitales Kindergrundsicherungsportal und den "Kindergrundsicherung Check" schaffen.
Bisher sind die staatlichen Leistungen zu unübersichtlich, auch deswegen macht es Sinn, sie zusammenzuführen. Die Kindergrundsicherung soll alle Familienkonstellationen erreichen, auch die Mittelschicht. Denn in eine finanzielle Schieflage zu geraten, kann jeden treffen. Zum Beispiel durch eine Trennung: Insbesondere Frauen, die plötzlich alleinerziehend sind, können schnell in finanzielle Schwierigkeiten kommen.
tagesschau.de: Ihr Koalitionspartner FDP befürchtet, dass die Kindergrundsicherung am Ende so hoch ist, dass der Anreiz zum Arbeiten verloren geht. Wie sorgen Sie dafür, dass es so weit nicht kommt?
Lisa Paus: Wir wollen die Anreize zur Arbeitsaufnahme deutlich verbessern, so wie auch zuletzt beim Bürgergeld. Das ist auch das Ziel bei der Kindergrundsicherung. Ich kann Ihnen zahlreiche Beispiel vorrechnen, in denen Menschen von ihrem Verdienst nur zehn Prozent behalten dürfen. Oder manchmal ist es sogar so, dass Sie nach einem mehrverdienten Euro netto sogar weniger haben als vorher.
Das wollen wir angehen mit der Ausgestaltung des Zusatzbetrages. Er soll so ausgestaltet werden, dass er langsamer abschmilzt als das, was man dazuverdient. Am Ende soll netto auf jeden Fall mehr bleiben als bisher.
tagesschau.de: Vor ein paar Tagen wurden die Eckpunkte aus Ihrem Ministerium zur Kindergrundsicherung öffentlich. Aber erst im Sommer soll es einen Gesetzentwurf geben. Warum dauert das so lange?
Lisa Paus: Angesichts einer der größten und auch sehr komplizierten Sozialreformen der letzten Jahre sind wir gut unterwegs. Die Interministerielle Arbeitsgruppe diskutiert jetzt die Eckpunkte. Wenn die Mitglieder sich verständigt haben, muss sich die Koalition abstimmen. Dann können wir mit dem Gesetzentwurf anfangen.
Das dauert natürlich, auch weil es ein großes Digitalisierungsprojekt ist. Ich bin zuversichtlich, weiß aber auch, wie herausfordernd es tatsächlich ist, bis 2025 nicht nur ein Gesetz zu verabschieden, sondern auch entsprechende Digitalisierungsbausteine umzusetzen.
tagesschau.de: Haben Sie mit den Eckpunkten der Arbeitsgruppe vorweggegriffen?
Lisa Paus: Nein, im Gegenteil. Es ist meine Ressortverantwortung einen ersten Entwurf zu erarbeiten. Mein Haus ist federführend für diesen Prozess und muss die Arbeitsschritte bündeln. Bevor ich diesen Vorschlag in die Arbeitsgruppe gegeben habe, habe ich auch politische Gespräche geführt. Ich habe im Vorfeld mit dem Bundeskanzler, dem Finanzminister, der Bauministerin, der Bildungsministerin, mit dem Arbeits- und Sozialminister selbstverständlich über die Eckpunkte gesprochen.
tagesschau.de: Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hat sich die Lage von in Armut lebenden Kinder weiter verschlechtert. Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 ausgezahlt werden. Das dauert also noch ...
Lisa Paus: Weil es eben noch eine Zeit dauert und wir nicht einfach abwarten können, hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr bereits Etliches auf den Weg gebracht. Wir haben drei Entlastungspakete sowie Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds beschlossen. Deswegen war es mir auch so wichtig, das Kindergeld auf 250 Euro und den Kinderzuschlag auf bis zu weitere 250 Euro anzuheben. All diese Punkte sind gerade für arme Familien besonders wichtig.
Ich weiß, was für ein Mammutprojekt die Kindergrundsicherung ist. Ich habe jetzt über zehn Jahre lang an dem Konzept mitgearbeitet, mir die verschiedenen Aspekte angeschaut und daran gefeilt. Ja, es dauert jetzt noch ein bisschen. Bis zum Ende der Legislaturperiode muss die Kindergrundsicherung dann allerdings auch tatsächlich kommen. Kinderarmut ist eine Schande für so ein reiches Land wie Deutschland. Wie wir damit umgehen, ist auch ein Gradmesser dafür, wie sozial gerecht es bei uns zugeht und wie stark der soziale Zusammenhalt ist.