DER SPIEGEL Lisa Paus zum Sparhaushalt 2024

Bundesfamilienministerin Lisa Paus
Bundesfamilienministerin Lisa Paus © Photothek/Felix Zahn

DER SPIEGEL: Frau Ministerin, zu wel­chem Thema prasseln gerade mehr Beschwerden auf Sie ein: zum Elterngeld oder zur Kindergrundsicherung?

Lisa Paus: Es war für viele natürlich ein Schock, dass ich die Einkommensgrenze beim Elterngeld von 300.00 Euro auf 150.000 Euro des zu versteuernden Einkommens absenken will. Ich habe auch keinen Hehl daraus gemacht, dass das kei­ne Glanzleistung für die Gleichstel­lung ist. Aber wir brauchen einen Bundeshaushalt für 2024 und ich hatte Kürzungsvorgaben umzuset­zen. Da habe ich mich von den schlechten Varianten für die am wenigsten schlechte entschieden.

DER SPIEGEL: Klären Sie uns bitte auf: War diese Kappung jetzt Ihr Wunsch oder der von Bundesfinanzminister Lindner?

Lisa Paus: Inzwischen sind ja alle Briefe, die dazu ausgetauscht wurden, öffentlich. Im ersten aus dem Finanzministerium stand, ich möge 500 Millionen Euro im Jahr beim Elterngeld kürzen. Dann habe ich prüfen lassen, welche Auswirkungen das auf die Gleichstellung hat - natürlich keine positiven, weil sich dadurch die Abhängigkeit der Frauen in der Partnerschaft ver­stärkt. Also habe ich entschieden, wie ich kürze, aber auf die Folgen hingewiesen.

DER SPIEGEL: Dann hat der Finanzmi­nister darauf hingewiesen, dass Sie auch woanders kürzen könnten.

Lisa Paus: Ich wollte auf keinen Fall die Höhe des Elterngeldes kürzen, um sozialpolitischen Schaden zu vermeiden. Immerhin steht im Koalitionsvertrag, dass wir die Leistung dynamisieren, um sie an die Inflati­on anzupassen. Jetzt ist es bei den bisherigen Sätzen geblieben, Minimum 300 Euro, maximal 1800 Euro pro Monat.

DER SPIEGEL: Viele werfen Ihnen nun vor, mit ihrer Entscheidung der Gleichstellung zu schaden.

Lisa Paus: Wir können mein Budget gern einzeln durchgehen. Über 90 Prozent davon sind durch gesetzli­che Leistungen gebunden, haupt­sächlich durch das Elterngeld. Der nächste Posten ist der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende, bei denen der Partner oder die Partnerin der Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Das wollte ich nicht anfassen. Das Dritte ist der Kinderzuschlag. Da geht es um Familien, die auch wirklich zu wenig haben, da verbietet sich eine Kürzung. Dann gibt es die Förderprogramme in meinem Etat, bei denen ich auch noch zusätzliche Einsparungen leisten musste von über 100 Millio­nen Euro. Deshalb habe ich mich fürs Elterngeld entschieden.

DER SPIEGEL: Und wieso haben Sie nicht entschieden, die Höhe abzuschmelzen?

Lisa Paus: Das hätte für die Eltern mit 120.000 Euro Jahreseinkommen bedeutet, dass sie keine 1800 Euro mehr im Monat bekommen, was im Verhältnis zu dem, was sie vorher verdient haben, ohnehin nicht viel Geld ist.

DER SPIEGEL: Aber es ist ja immer noch etwas anderes, ob man von einer Gruppe ein bisschen wegnimmt, oder ob man bei einer anderen von der vollen Summe auf Null geht.

Lisa Paus: Der Haushalt wird am Ende vom Deutschen Bundestag beschlossen. Ich werde die Gesetzesänderung am 14. Juli an das Bundesfinanzministerium liefern. Im Parlament findet später die Beratung statt und da können Ideen einfließen. Das ist mein Vorschlag, um den geforderten Kürzungsbeitrag zu erbringen.

DER SPIEGEL: Brauchen aus Ihrer Sicht Eltern mit einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von
150.000 Euro oder mehr überhaupt Elterngeld oder sind die wohlhabend genug?

Lisa Paus: Selbstverständlich sind sie wohlhabend, aber das hat ja nichts mit der Frage zu tun, wie Partnerschaftlichkeit in einer Beziehung gelebt wird und was es bedeutet, wenn durch die Geburt eines Kin­des auf ein Gehalt verzichtet werden muss. Klassischerweise ist es die Frau - das bedeutet für sie eine noch höhere Abhängigkeit. Noch klarer wird das, wenn der Mann mehr verdient. Dann wird normale­rweise gesagt: 'Der kann nicht in Elternzeit gehen.' Wir wissen alle: Vor der Geburt verspricht man sich ganz viel und dann ist das Kind da und die Aufgabenverteilung wird ganz neu miteinander ausgemacht. Deswegen ist das Elterngeld so wichtig, in jeder Beziehung.

DER SPIEGEL: Grundsätzlich könnte man das Kind aber früher in Betreuung geben.

Lisa Paus: Ja, aber die meisten Kitas sind derzeit darauf eingestellt, dass das Kind im Alter von einem Jahr kommt und nicht mit drei Mona­ten. Eine ganz frühe Betreuung ist in Deutschland derzeit die Ausnahme.

DER SPIEGEL: Eigentlich sollte das Elterngeld die finanzielle Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern mindern. Hat es diesen Zweck er­ füllt?

Lisa Paus: Das Elterngeld hat auf jeden Fall mehr Partnerschaftlichkeit gebracht. Vätermonate werden jetzt mit einer anderen Selbstverständ­lichkeit genommen.

DER SPIEGEL: Laut einer Civey-Umfra­ge finden zwei von drei Deutschen es eindeutig oder eher "richtig", dass das Elterngeld nur noch bis zu einem zu versteuernden Einkommen der Eltern bis 150.000 Euro im Jahr gezahlt wird. Mehr als die Hälfte sogar "eindeutig richtig". Wie erklären Sie sich das?

Lisa Paus: Ich finde es gut, dass jetzt ei­ne Gerechtigkeitsdebatte darüber angestoßen wurde. Und diese Umfrageergebnisse scheinen zu bestäti­gen, dass ich die richtige Abwägung unter diesen Umständen ge­troffen habe.

DER SPIEGEL: Eigentlich sollte das El­terngeld ja sogar erhöht werden. Wieso dringen Sie bei Lindner nicht einmal mit Themen durch, die im Koalitionsvertrag stehen?

Lisa Paus: Das steht richtiger Weise im Koalitionsvertrag. Richtig ist aber auch, dass alle Ressorts mit Ausnahme der Verteidigung aufgefordert waren, ihre Kürzungsbeiträge zu leisten, um einen verfassungsgemäßen Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen.

DER SPIEGEL: Seit der Einführung vor 16 Jahren sind der Mindest- und der Höchstbetrag des Elterngeldes nie angepasst worden: Wird diese Dynamisierung irgendwann noch kommen?

Lisa Paus: Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.

DER SPIEGEL: Fürchten Sie nicht, dass Sie durch diesen Sparkurs familienpolitisch einfach keines der Ziele erreichen können, die Sie sich als Fortschrittskoalition vorgenommen haben?

Lisa Paus: Einspruch! Wir haben familienpolitisch in einem Jahr viel erreicht: die höchste Kindergelderhöhung seit 1996, das KiTa-Qualitätsgesetz und die Ganztagesbetreuung an Grundschulen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

DER SPIEGEL: Aber es gibt ja einige Ge­setzesvorhaben aus Ihrem Bereich, die derzeit stocken. Zum Beispiel das zur Familienstartzeit, also der Freistellung des Partners oder der Partnerin nach der Geburt, das in der Ressortabstimmung feststeckt. Oder die Absenkung des Kinder­freibetrags von Besserverdienenden...

Lisa Paus: Jetzt wo der Haushalt verabschiedet ist, gehe ich davon aus, dass die Familienstartzeit nicht ewig stecken bleiben wird. Warten Sie's doch ab. Über die Dynamisierung des Elterngeldes haben wir gerade schon gesprochen. Was die Absenkung des Kinderfreibetrages angeht, so bin ich fest davon über­zeugt, dass das ein Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit wäre. Dem Staat sollte jedes Kind gleich viel wert sein. Aber im Koalitionsver­trag war nur die Formulierung zu erreichen, dass wir das Ziel der Absenkung des Freibetrages 'perspektivisch' schaffen wollen.

DER SPIEGEL: Auch eines Ihrer wich­tigsten Themen lässt auf sich war­ten: Wieso haben Sie den Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung eigentlich nach einem Jahr im Amt nicht längst fertig?

Lisa Paus: Ich habe mein Konzept im Januar vorgelegt und mich im Mai mit dem Kanzler dazu geeinigt. Als nächsten Schritt ging es darum, den Bundesfinanzminister ins Boot zu holen. Im Ergebnis hat der Bundeskanzler den Brief geschrieben.

DER SPIEGEL: Der Kanzler-Brief war al­so keine Mahnung an Sie, sondern sollte Ihnen den Rücken stärken gegenüber dem Finanzminister?

Lisa Paus: Wir Grünen haben immer gesagt, wir stimmen dem Haushalt 2024 erst zu, wenn geklärt ist, dass die Kindergrundsicherung auch höhere Leistungen bedeutet. Dieser Brief, den der Kanzler in Absprache mit mir geschrieben hat, schafft Klarheit. Die Kindergrundsicherung wird qualitativ mehr sein als eine Digitalisierungs- und Verwal­tungsreform. Klar ist auch, dass dieser Gesetzentwurf noch Ende August im Kabinett beschlossen wird.

DER SPIEGEL: Der Kanzler-Brief hat auch seine Tücken. So bittet Olaf Scholz Sie, zwei Varianten der Kindergrundsicherung vorzulegen. Die eine soll das neu berechnete Exis­tenzminimum von Kindern einbeziehen, so wie Sie es immer gefordert haben. Die andere Variante soll ohne diese neuen Berechnungen auskommen, also voraussichtlich weniger Leistungen bedeuten. Kann es sein, dass der Kanzler hier schon den Weg für eine Sparversion Ihres Herzensprojekts ebnet?

Lisa Paus: Aus meiner Sicht baut der Brief Brücken für den Finanzminister, um ihn ins Boot zu holen, denn meine Eckpunkte sind bereits mit dem Kanzler geeint. Es geht um Leistungsverbesserungen und welchen Verhandlungsspielraum wir in den kommenden Wochen miteinander ausloten. Wir haben jetzt noch den ganzen Sommer und dann werden wir ja sehen, wo wir im August liegen.

DER SPIEGEL: Wäre Ihr wichtigstes Reformprojekt in einer stark abgespeckten Form nicht gescheitert?

Lisa Paus: Ihre Frage wundert etwas, wir sind doch gerade einen Schritt weiter gekommen. Die Summe von zwölf Milliarden Eu­ro war ja schon ein Kompromiss; die meisten Armutsexpertinnen und -experten fordern viel mehr.

DER SPIEGEL: Von der SPD, etwa von Parteichefin Saskia Esken heißt es, durch die letzte Kindergelderhöhung sei der geforderte Beitrag für die Kindergrundsicherung in Teilen schon erfüllt. Sehen Sie das auch so?

Lisa Paus: Es stimmt, dass wir als Am­pel eine bedeutende Kindergelder­höhung auch auf meine Initiative hin gemacht haben. Das ist eine gu­te Grundlage für die Einführung der Kindergrundsicherung. Mittelfristig wollen wir aber das komplette System verändern, bürgernäher, armutsfester und näher an der Rea­lität der Familien in Deutschland.

DER SPIEGEL: Das heißt, Sie sind bereit, die Kindergelderhöhung abzuziehen von Ihren Forderungen für die Kindergrundsicherung?

Lisa Paus: Das heißt, es ist eine gute Grundlage für die Kindergrundsi­cherung.

DER SPIEGEL: Reden wir trotzdem über konkrete Summen. Sie haben stets die Forderung nach zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung aufgestellt. Halten Sie daran noch fest?

Lisa Paus: Nein, das tue ich nicht.

DER SPIEGEL: Oha. Warum nicht mehr?

Lisa Paus: Selbstverständlich könnte ich mir noch immer eine Kindergrundsicherung mit diesem Volumen vorstellen. Aber ich habe auch immer gesagt: Ich bin gesprächsbereit, und am Ende geht es darum, noch in dieser Legislatur eine Leistung einzuführen, mit der es unseren Fa­milien besser geht, mit der verdeckte Armut entdeckt und aufgehoben wird. Wir Grüne sind nicht allein in dieser Koalition, und ein Gesetz muss zur Haushaltslage pas­sen.

DER SPIEGEL: Sie werfen Ihre Forde­rung erstaunlich leicht über Bord. Oder haben Sie einfach möglichst hoch gepokert?

Lisa Paus: Mein Konzept zur Kinder­grundsicherung basiert auf wissen­schaftlichen Studien. Die Summe von zwölf Milliarden Euro war ja schon ein Kompromiss; die meis­ten Armutsexpertinnen und -experten fordern viel mehr. Aber hier geht es nun mal um das aus meiner Sicht wichtigste sozialpolitische Projekt dieser Koa­lition, das wir nicht ohne harte Verhandlungen zum Erfolg bringen werden. Und bis zu fünf Milliarden Euro aus dieser Summe ergeben sich allein daraus, dass hoffentlich endlich mehr Menschen die Leistungen beanspruchen, die ihnen zustehen. Viele kennen ihre Ansprüche gar nicht.

Seit Januar liegt mein Konzept vor. Leider gab es bei manchen in der Koalition lange keine Bereit­schaft, überhaupt über höhere Leis­tungen zu sprechen.

DER SPIEGEL: Wie soll das funktionie­ren?

Lisa Paus: Unsere erste Priorität muss jetzt sein, die Zugänge zu staatlicher Unterstützung zu vereinfachen. Es wird künftig mit der Familienkasse bei der Bundesarbeitsagentur eine Stelle geben, ein Kindergrundsicherungsportal, über das nur noch eine Leistung ausgezahlt wird. Dort werden ab 2025 alle Informationen über die Einkommenssituation der Familien zusammen­laufen, das Portal soll also verknüpft sein mit Finanzämtern, der Rentenversicherung, und so weiter. Das bedeutet relevante finanzielle Verbesserungen für viele Familien. Dann bekommen vielleicht nicht mehr 35 Prozent der Menschen ei­ne Leistung, die ihnen zusteht, sondern perspektivisch 90 Prozent.

DER SPIEGEL: Offensichtlich zögern Sie aber, nochmal öffentlich eine Milli­ardensumme für Ihr Projekt anzu­melden. Oder was ist Ihre neue Hausnummer?

Lisa Paus: Meine neue Hausnummer lautet zwei bis sieben Milliarden Euro.

DER SPIEGEL: Man fragt sich schon, wie Sie so lässig von zwölf auf bis zu zwei Milliarden runtergehen können. Kann es sein, dass Sie bisher kein richtiges Konzept für die zwölf Milliarden hatten, wie die FDP es Ihnen ja mehrmals vorgeworfen hat?

Lisa Paus: Seit Januar liegt mein Kon­zept vor, und ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, welche Stellschrauben es hat. Es war eher umgekehrt so, dass es bei manchen in der Koalition leider lange keine Bereitschaft gab, überhaupt über höhere Leistungen zu sprechen. Das sind handfeste Verteilungskonflikte.

DER SPIEGEL: Öffentlich präsentiert ha­ben Sie Ihr Konzept aber nie. Da hatten Ihre Kritiker natürlich leichtes Spiel.

Lisa Paus: Das wird nicht richtiger da­ durch, dass es immer wiederholt wird. Ich habe mein Konzept im Ja­nuar vorgelegt und es ist auch an die Öffentlichkeit gelangt. Aber ich bin jetzt 20 Jahre in der Politik und bin wie gesagt immer gut damit gefahren, solche Verhandlungen nicht öffentlich zu führen. Es stimmt, dass ich dieses Konzept nicht vorgelegt habe, weil ich sol­che Prozesse als internes, vertrauliches Regierungshandeln verstehe, das in ruhiger und sachlicher Atmosphäre ablaufen sollte. Aber al­le, die an der Entscheidung beteiligt werden mussten, das Kanzleramt, das Finanzministerium, das Arbeits- und Sozialministerium, kannten meine Berechnungen.

DER SPIEGEL: Jetzt hat der Kanzler-Brief die Öffentlichkeit hergestellt, die Sie vermeiden wollten.

Lisa Paus: Ich hätte gerne schneller eine Annäherung gehabt, aber habe lei­der nicht bei allen diesen Willen für eine gütliche Einigung verspürt. Das machte den Brief des Kanzlers in dieser Art und Weise nötig, ein anderer Weg wäre natürlich schöner gewesen. Aber jetzt haben wir Klar­heit. Und die Vorarbeiten für den Gesetzentwurf habe ich natürlich längst machen lassen, damit wir nun zu einem guten Ergebnis kom­men.

DER SPIEGEL: Frau Paus wir danken Ihnen für das Gespräch.